„Das Netz hat die Macht, politisch aktiv zu sein“

Er war einer der Ersten, die den Ex-Bundespräsidenten Horst Köhler für seine Afghanistan-Äußerungen kritisierte. Kurz nach dem Köhler Interview warf Stefan Graunke in seinem Blog UnPolitik.de die rhetorische Frage auf: „Wirklich, Herr Köhler? Öffentlich zur Durchsetzung wirtschaftlicher Ziele durch militärische Gewalt aufrufen?“ Die Medien nahmen das Thema auf – und Köhler trat zurück. Im Interview spricht der Kölner Computergrafiker über die Macht der Blogosphäre.Gibt es vernachlässigte Politikthemen?

Ja, da gibt es einige. Zum Beispiel die verschiedenen Spielarten des Lobbyismus werden meiner Meinung nach nicht ausreichend beleuchtet. So wurden zum Beispiel die ACTA-Verhandlungen lange Zeit ignoriert. (Anm. d. Red: Anti-Counterfeiting Trade Agreement, ein multilaterales Handelsabkommen, das laut der teilnehmenden Nationen beziehungsweise Staatenbünde den Kampf gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen verbessern soll. Kritiker fürchten vor allem starke Regulierungen im Internet). Die Verhandlung über die Details des Abkommens finden seit 2007 unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, weshalb auch der genaue Verhandlungsstand unbekannt ist. Dabei sollte man doch meinen, dass sich jeder Journalist auf das Thema stürzen müsste, wenn er hört, dass unter komplettem Ausschluss der Öffentlichkeit verbindliche Verträge zwischen Staaten verhandelt werden sollen, Lobbyorganisationen der Industrie aber explizit zu den Verhandlungen eingeladen werden.

Die fragwürdige Afghanistan-Äußerung Köhlers wäre beinah ein vernachlässigtes Thema geworden. Das wurde durch mehrere Blogger verhindert. Sie haben kurze Zeit später auf Ihrem Blog Kritik an der Äußerung geübt und beim Bundespräsidialamt um eine Stellungnahme gebeten. Erst durch die öffentliche Kritik mehrerer Blogger und auf Facebook und Twitter haben die Massenmedien das Thema auf die Tagesordnung genommen – und Köhler ist zurückgetreten. Wenn auch nicht wegen seiner Äußerung an sich. Ist der Fall Köhler ein Beweis dafür, dass die Blogosphäre die Macht und das Potenzial hat, in der Politik mit zu mischen?

Es geht nicht um das „Mitmischen der Blogosphäre“. Es geht darum, dass alle Menschen Acht darauf geben, was um sie herum passiert und hellhörig werden, wenn ihnen etwas komisch vorkommt. Es geht darum, alle Aussagen, die von Seiten irgendeiner Elite kommen, sei sie politisch, wirtschaftlich oder religiös, kritisch zu hinterfragen und notfalls in den Blickpunkt einer möglichst großen Öffentlichkeit zu rücken. Das ist gelebte Demokratie. Das Internet, und damit auch die Blogosphäre, ist einfach nur eine gutes Werkzeug, um diese Aufgabe aller Bürger vergleichsweise effektiv umzusetzen. Insofern, ja, das Netz hat die Macht und das Potenzial politisch aktiv zu sein und ist es ja auch längst.

Wie recherchieren Sie Ihre Beiträge?

Ich recherchiere zu 90 Prozent im Internet. Es klingt eventuell ein wenig zu einfach, aber viele interessante Zitate, ältere Informationen und Äußerungen, aber auch thematische Zusammenhänge kann man allein durch halbwegs geschickte Nutzung von Google und anderen Suchmaschinen recherchieren. Man darf eben nicht immer nur ein Schlagwort eingeben und nur auf den ersten Treffer klicken. Ein Herr Schirrmacher mag sich damit überfordert fühlen, auch mal auf die zweite oder fünfte Seite der Suchergebnisse zu schauen, ich mache das allerdings bei Recherchen zur Regel.

Was können Blogs besser als die Massenmedien?

Blogs sind definitiv eine wichtige Ergänzung. Sie sind in der überwiegenden Masse rein durch das persönliche Interesse am Thema motiviert. Das ermöglicht eine andere Herangehensweise und durch finanzielle Unabhängigkeit oft auch einen, im guten Sinne, respektloseren und unbelasteteren Umgang mit dem Thema. Die Granularität mit der sich Blogs kleinen und speziellen Themen widmen können, ist von den Massenmedien einfach nicht zu leisten. In der Politik bedeutet dies, dass unter anderem durch Blogs eine Unmenge an Meinungen und Einschätzungen eine Plattform finden können, die sonst vielleicht nur ungehört im Wohnzimmer in Richtung Fernseher gebrummelt würden. Von diesen vielen treffen dann natürlich auch einige mal direkt ins Schwarze, auch dort wo die klassischen Medien aus irgendeinem Grund vielleicht gerade einen blinden Fleck haben. Ich möchte fast Warhols Ausspruch abwandeln zu: „In der Zukunft ist jeder für mindestens 15 Minuten einmal Journalist.“

Werden Blogs die Massenmedien Ihrer Meinung nach irgendwann überflüssig machen?

Ich glaube es wird zu einer Konvergenz kommen. Journalismus braucht neue Impulse und neue Modelle. Eine denkbare Möglichkeit wäre ein Syndizieren verschiedenster Quellen in ein neu zu definierende Spielarten von Massenmedien. Ich würde meine Informationen nicht alleine aus Blogs beziehen wollen, zumal Blogs meist Meinungsmedien sind. Ebenso wenig würde ich meine Informationen aber alleine aus Zeitungen oder dem Fernsehen beziehen wollen. Dazu habe ich in der Vergangenheit zu oft mitbekommen, wie in diesen Medien sachlich komplett falsch und inkompetent berichtet wurde. Wenn einem so etwas in Bereichen auffällt, in denen man sich sehr gut auskennt, fragt man sich natürlich, ob das eventuell in anderen Bereichen nicht auch so ist. Auf Dauer wird sich meiner Meinung nach ein System durchsetzen, welches auf die Bewertung einzelner Quellen durch die Nachrichtenkonsumenten wert legt.

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