Bildungsgerechtigkeit für Heim- und Pflegekinder?
Abstract:
Wenn in Familien Missstände herrschen, werden Kinder und Jugendliche häufig in Heimen oder Pflegefamilien untergebracht. Dieser Bericht untersucht, ob sie dort einen angemessenen Zugang zu Bildung erhalten. Das Thema ist besonders relevant, da es sich um eine vulnerable Gruppe unserer Gesellschaft handelt, die auch in der medialen Berichterstattung mehr Aufmerksamkeit verdient. Zudem wurde dieses Thema bislang in keinem größeren Medium umfassend behandelt.
Sachverhalt & Richtigkeit:
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) lebten im Dezember 2023 rund 86.000 junge Menschen in Deutschland in Pflegefamilien. Sie wurden meist aufgrund von Kindeswohlgefährdung oder dem Verlust ihrer Bezugspersonen aus ihren Herkunftsfamilien genommen. Viele dieser Kinder sind zu diesem Zeitpunkt noch sehr jung und haben einen Großteil ihrer schulischen Laufbahn vor sich.
Pflegekinder sind häufig psychisch belastet, da ihre Biografie oft von einschneidenden Erlebnissen geprägt ist. Hinzu kommt, dass sie mit der Unterbringung in einer Pflegefamilie häufig auch einen Wechsel ihres Wohnortes und ihrer Schule bewältigen müssen. Diese Faktoren werfen die Frage auf, ob sich ihre besondere Lebenssituation auf ihre Bildungschancen auswirkt. Sollte das der Fall sein, stellt sich zudem die sozialpolitische Frage, ob es mehr gezielte Maßnahmen braucht, um mögliche Bildungsnachteile auszugleichen.
Die Recherche nach aktuellen Zahlen und Studien zu diesem Thema gestaltet sich jedoch schwierig. Zwar laufen derzeit verschiedene Befragungen zur Bildungssituation von Pflegekindern, viele davon sind jedoch noch nicht öffentlich zugänglich. Erste Anhaltspunkte liefert ein Bericht des Deutschen Jugendinstituts (DJI) aus dem Jahr 2008 (der auch bei Wikipedia zitiert wird!) sowie eine Bachelorarbeit aus dem Jahr 2018.
Um auch die Perspektive einer in diesem Bereich tätigen Fachkraft einzubeziehen, habe ich ein Gespräch mit einer Sozialarbeiterin geführt, die seit über 20 Jahren im Jugendamt arbeitet – speziell im Bereich der Pflegekinderhilfe. Ich habe sie dazu befragt, ob Bildung eine Rolle in ihrer Arbeit spielt, ob sie verstärkte Schwierigkeiten in der schulischen Entwicklung von Pflegekindern wahrnimmt und ob es spezielle Maßnahmen gibt, die gezielt auf diese Gruppe ausgerichtet sind.
Im Gespräch berichtete sie, dass Bildung zwar immer wieder Thema in Hilfeplangesprächen sei – also in regelmäßigen Besprechungen, bei denen sowohl das Kind als auch die Pflegeperson anwesend sind – jedoch keinen zentralen Bestandteil ihrer Arbeit darstelle. Zudem habe sie nicht den Eindruck, dass Heim- und Pflegekinder, mit denen sie in Kontakt steht, grundsätzlich schlechtere Bildungschancen hätten als andere Kinder. Spezielle Förderprogramme für Heim- und Pflegekinder gebe es nicht, abgesehen von der Kostenübernahme für Nachhilfe. Darüber hinaus sehe sie keinen größeren Bedarf an zusätzlicher Unterstützung im Bildungsbereich. Allerdings betonte sie, dass der Bedarf an freien Therapieplätzen deutlich höher sei.
Damit widerspricht ihre Einschätzung den Ergebnissen der Analysen des Deutschen Jugendinstituts (DJI) und der Bachelorarbeit von Christoph Wüstenhagen, die auf erhebliche Bildungsnachteile für Pflegekinder hinweisen.
Relevanz:
Die Situation von Pflegekindern ist gesellschaftlich und bildungspolitisch relevant, da viele von ihnen durch ihre Erfahrungen in der Herkunftsfamilie sowie den häufig abrupten Wechsel in ein neues Umfeld besonderen Belastungen ausgesetzt sind. Ihre Ausgangsbedingungen unterscheiden sich oft von denen ihrer gleichaltrigen Peers, was langfristige Auswirkungen auf ihre Entwicklung haben kann.
Insbesondere im Bereich der Bildung, die eine zentrale Grundlage für die weitere akademische und berufliche Laufbahn bildet, stellt sich die Frage, inwieweit Heim- und Pflegekindern in Deutschland gleichwertige Chancen geboten werden. Da der Staat für diese jungen Menschen eine besondere Verantwortung trägt, sollte dem Thema auch in der gesellschaftlichen Debatte mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden – insbesondere weil Pflegekinder selbst nur begrenzte Möglichkeiten haben, auf strukturelle Herausforderungen und bestehende Defizite hinzuweisen.
Vernachlässigung:
Eine umfassende mediale Auseinandersetzung mit dem Thema „Bildungsgerechtigkeit für Heim- und Pflegekinder“ ist bislang nicht festzustellen. Weder überregionale noch regionale Zeitungen haben sich diesem Thema gewidmet. Eine gezielte Suche in verschiedenen Suchmaschinen – darunter Google, Ecosia, Bing und Yahoo – ergab unter den Nachrichtenrubriken keine relevanten Artikel etablierter Medien.
Die einzigen Treffer, die sich in der Recherche finden ließen, waren ein Eintrag im Forum „Psychologie Aktuell“, das als fachspezifisches Medium einzuordnen ist, sowie wissenschaftliche Publikationen, vor allem von Universitäten. Daraus lässt sich ableiten, dass dem Thema nicht nur in Bezug auf Bildungsgerechtigkeit, sondern auch hinsichtlich der allgemeinen Situation von Pflegekindern in Deutschland nur wenig mediale Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Ob diese geringe Berichterstattung auf eine fehlende gesellschaftliche Relevanz des Themas hindeutet, ließ sich im Rahmen der Recherche nicht abschließend klären. Heim- und Pflegekinder stellen mit ihrer Anzahl in Deutschland und ihrer besonderen Lebenssituation zweifellos eine gesellschaftlich relevante Gruppe dar. Ob es im Bildungsbereich tatsächlich eine prekäre Situation gibt und ob daraus politischer Handlungsbedarf resultiert, müsste jedoch weiterführend untersucht werden, idealerweise durch aktuelle Studien.
Unabhängig davon könnte bereits die geringe öffentliche Wahrnehmung der Lebensrealität von Pflegekindern ein Anlass für eine intensivere mediale Berichterstattung sein.