2025: Top-Thema 02

Flüchtlingslager auf Samos ist menschenunwürdig

Abstract:

Nach dem medialen Aufschrei über der Zerstörung des Flüchtlingslagers Moria im Jahr 2020 wurde auf der griechischen Insel Samos ein neues „Closed Controlled Access Centre“ (CCAC) errichtet, dass angeblich die Lebensbedingungen der Geflüchteten verbessern sollte. Allerdings bemängeln Kritiker:innen die weiterhin menschenunwürdigen Zustände, mangelnde Versorgung und die Perspektivlosigkeit der Geflüchteten. Doch die mediale Aufmerksamkeit für die Missstände in den Lagern ist stark zurückgegangen – die drängenden Probleme sind aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Die Thematik ist auch für Deutschland relevant, da die Situation auf Samos die europäische Flüchtlingspolitik widerspiegelt und die Integration von Geflüchteten, insbesondere als Arbeitskräfte zur Bekämpfung des Fachkräftemangels, eine entscheidende Rolle in der politischen Debatte über Asylrecht und Arbeitsmarkt spielt.

Sachverhalt & Richtigkeit:

Nach der Zerstörung des berüchtigten Flüchtlingslagers Moria auf Lesbos, Griechenland, durch einen Großbrand im September 2020, das bis dahin für seine menschenunwürdigen Zustände bekannt war, entschied die Europäische Union, gemeinsam mit der griechischen Regierung, neue und modernere Unterkünfte zu errichten. Diese „Closed Controlled Access Centres“ (CCAC) sollten eine Verbesserung bringen, doch Kritiker:innen sehen darin vor allem eine Strategie, Geflüchtete aus der Öffentlichkeit zu isolieren. Eines dieser Lager wurde 2021 auf der Insel Samos eröffnet und ersetzte damit das überfüllte und stark kritisierte Lager Vathy.

Der Kölner Pfarrer Hans Mörtter, der jedes Jahr ehrenamtlich vor Ort ist, beschreibt die Lage im Flüchtlingslager auf Samos als „gnadenlos“. Es sei ein „menschenunwürdiger Umgang“ mit den Geflüchteten. Er erklärt, dass die EU Samos als „Vorzeigelager“ präsentiert wird, doch in Wirklichkeit blieben die Zustände unmenschlich. Das Lager ist von doppeltem Stacheldraht umgeben, mit einer Straße dazwischen für Patrouillenfahrzeuge. Geflüchtete leben in Containern, die offiziell für 3.650 Menschen ausgelegt sind. Mörtter erklärt aber, dass im vergangen Herbst knapp 5000 Menschen dort waren. Auch die Versorgung ist mangelhaft: Mörtter spricht von einem „Riesen-Geschäft“, wobei die abgepackten Lebensmittel oft in den Plastikverpackungen verderben, da Lagerung und Kühlung während des Transports unzureichend sind: „Das zeigt eben, welches Menschenbild Europa hat von Geflüchteten“.

Politiker:innen der EU besuchen das Lager und sehen eine scheinbar gut funktionierende Einrichtung. Doch diese Besuche seien laut Mörtter inszeniert: An diesen Tagen gäbe es mehr Wasser und bessere Verpflegung – eine Ausnahme, nicht die Regel, betont Mörtter. Die Realität bleibe geprägt von Perspektivlosigkeit, psychischer Belastung und mangelnder medizinischer Versorgung. Erkrankungen wie Krätze breiten sich aus, weil Seife und Wasser fehlen. Depressionen und Suizidgefahr seien besonders unter jungen Männern weit verbreitet. Zudem fehlt es an Winterkleidung – Geflüchtete tragen oft noch die leichte Sommerkleidung, in der sie angekommen sind.

Ein neuer Ansatz auf Samos könnte einen Weg aus dieser Misere bieten: Geflüchtete, die mindestens drei Monate auf der Insel sind, können nun eine Arbeitserlaubnis erhalten – obwohl das rechtlich eigentlich nicht vorgesehen ist. In Zusammenarbeit mit UNHCR gelingt es jedoch, Arbeitskräfte für Gastronomie, Bau oder Landwirtschaft zu vermitteln. Diese Integration ist dringend nötig, da es in Griechenland einen großen Mangel an Arbeitskräften gibt. Mörtter schildert, dass in manchen Fällen Geflüchtete sogar bei griechischen Arbeitgeber:innen wohnen, bei denen sie regulär angestellt sind. Mörtter spricht hier von einem „Stimmungswechsel“: In den vergangenen Jahren waren die Bewohner:innen der Insel noch eher negativ auf die Geflüchteten eingestellt, mittlerweile aber sehe man die Vorteile.

Nichtregierungsorganisationen kritisieren, dass es derzeit schwieriger sei, Hilfe zu leisten, da der Zugang zu den Camps eingeschränkt wurde. Auch Hans Mörtter machte diese Erfahrungen.

Mörtter arbeitet mit seinem gemeinnützigen Verein „Hans sucht nach Glück“ mit Organisationen wie Samos Volunteers und Skills Factory zusammen. Diese helfen dabei, die Geflüchteten für verschiedene Berufe auszubilden – vom Friseurhandwerk über Gastronomie bis hin zu technischen Berufen. In einem Friseursalon auf Samos können sich Geflüchtete nicht nur kostenlos die Haare schneiden lassen, sondern gleichzeitig eine Ausbildung absolvieren. Ähnliche Konzepte gibt es für andere Handwerksberufe.

Die Idee dahinter ist größer: In ganz Europa fehlen Arbeitskräfte – jährlich rund 400.000 allein in Deutschland. Mörtter fragt sich, warum nicht gezielt Geflüchtete ausgebildet werden und ihnen damit eine Perspektive geboten wird, statt sie in Lagern festzuhalten. Er glaubt, dass ein funktionierendes Ausbildungssystem den Menschen eine Zukunft bieten und gleichzeitig den Fachkräftemangel in Europa lindern könnte.

Mörtter kritisiert, dass Medien die Missstände in Flüchtlingslagern zwar aufgedeckt haben, doch nach der ersten Empörung wurde das Thema schnell als „erledigt“ betrachtet. Die Öffentlichkeit glaubt an Fortschritte, weil die riesigen Lager mit 25.000 Menschen verschwunden sind. Doch stattdessen seien Geflüchtete nur auf kleinere Camps verteilt worden. Die grundlegenden Probleme bleiben bestehen. Die Änderungen der EU scheinen auf den ersten Blick eine Verbesserung zu bringen – es gibt feste Wohncontainer, sanitäre Anlagen und Gemeinschaftsbereiche – aber trotzdem reiche es nicht, da es „für zu wenige konzipiert ist und zu viele da sind“. Der Kölner Pfarrer weiter: „Wenn Krätze, Depressionen und Suizid normal sind, dann heißt das doch, da stimmt was nicht“. Das mediale Interesse richte sich laut Mörtter oft nach politischer Opportunität. Während ukrainische Geflüchtete bevorzugt behandelt werden, wird über die katastrophalen Fluchtrouten von Afrikaner:innen kaum berichtet. Boote mit Geflüchteten aus Westafrika stranden sogar in der Karibik – voll mit Leichen. Doch solche Tragödien sind in europäischen Medien kaum ein Thema.

Statt immer neue Lager zu bauen und Menschen in Perspektivlosigkeit zu halten, sieht Mörtter die Förderung von Ausbildung und Integration als notwendig an. Programme wie die Skills Factory oder Werkstätten zur Reparatur von Handys zeigen, dass eine Selbstständigkeit geflüchteter Menschen möglich ist. Hans Mörtter setzt sich mit seinem Verein dafür ein, solche Modelle auch in Deutschland umzusetzen und Geflüchteten echte Zukunftsaussichten zu bieten.

Relevanz:

Das Thema ist hochrelevant, weil es zeigt, wie Europa mit Schutzsuchenden umgeht und welche Werte tatsächlich gelebt werden. Tausende Geflüchtete, die vor Krieg, Verfolgung und Armut fliehen, sitzen in Lagern wie auf Samos oft unter schwierigen Bedingungen fest. Während die EU die neuen Lager als Fortschritt darstellt, kritisieren Menschenrechtsorganisationen, dass sie eher der Abschreckung als einer menschenwürdigen Unterbringung dienen. Die Art und Weise, wie Europa mit Geflüchteten umgeht, ist ein Prüfstein für seine Glaubwürdigkeit.

Diese Entwicklung hat direkte politische Auswirkungen. Die europäische Migrationspolitik setzt zunehmend auf Abschottung, indem sie Geflüchtete an den Außengrenzen unterbringt, anstatt eine gerechte Verteilung innerhalb der EU zu ermöglichen. Während einige Regierungen dies als notwendige Maßnahme zur Begrenzung der Migration verteidigen, warnen Kritiker:innen, dass diese Strategie nicht nur unmenschlich, sondern langfristig auch nicht tragfähig ist. Gerade in Deutschland beeinflusst die Lage auf Samos die Debatte über Asylrecht, Aufnahmequoten und internationale Zusammenarbeit – ein Thema, das regelmäßig im politischen Diskurs aufgegriffen wird.

Letztlich geht es darum, wie Europa mit Menschen in Not umgeht und welche Werte tatsächlich gelebt werden. Die Lage auf Samos ist mehr als eine regionale Krise – sie ist ein Spiegelbild der europäischen Flüchtlingspolitik und betrifft uns alle.

Vernachlässigung:

Die mediale Aufmerksamkeit für die Zustände in den griechischen Flüchtlingslagern hat in den letzten Jahren deutlich nachgelassen. Während der Brand des Lagers Moria im September 2020 noch umfangreich in den Medien behandelt wurde, gerieten die darauffolgenden Entwicklungen schnell aus dem Fokus der Öffentlichkeit. Trotz anfänglicher Versprechen zur Verbesserung der Situation blieben nachhaltige Veränderungen aus, und die Berichterstattung darüber wurde spärlicher.

Auch die Berichterstattung über andere Lager, wie das auf Samos, ist selten geworden. Die wenigen vorhandenen Beiträge stammen oft von ausländischen Medien. So berichtete das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) im März 2021 über die schwierigen Bedingungen im Lager auf Samos und erwähnte dabei, dass die Berichterstattung über die Lager auf Samos oder Lesbos nicht erwünscht sei.

In Deutschland haben nur wenige vereinzelt über die Lage in den griechischen Flüchtlingslagern berichtet. Nach langer Stille griff im Oktober 2024 die Tagesschau das Thema wieder auf und berichtete über die neuen CCAC auf griechischen Inseln, darunter Samos. Während andere Medien das Thema weitgehend vernachlässigt haben, gab es hier und da kleinere Beiträge von Menschenrechtlern und -organisationen in Sendungen bezüglich Moria und Samos wie im Deutschlandfunk (22.05.2024), SWR (25.06.2024), ZDF (23.05.2024) oder RBB24 Radio (13.07.2024). Doch insgesamt ist die mediale Aufmerksamkeit stark zurückgegangen, sodass die anhaltenden Missstände weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden sind.