2025: Top-Thema 01

Deutsche Rüstungsexporte für Kindersoldaten

Abstract:

Weltweit werden über 250.000 Kinder und Jugendliche in militärischen Konflikten und kriegerischen Handlungen eingesetzt, wobei Kleinwaffen eine zentrale Rolle spielen. Deutschland, als zweitgrößter Exporteur von Kleinwaffen, hat trotz internationaler Abkommen seine Rüstungspolitik nicht ausreichend angepasst. Exportgenehmigungen für Kleinwaffen erfolgen oft ohne strenge Kontrollen, sodass der Endverbleib der Waffen unklar bleibt. NATO-, EU- und gleichgestellte Staaten werden bei Exporten bevorzugt, was den Waffenfluss in Länder mit Kinderrechtsverletzungen erleichtert. Kontrolle und Durchsetzung der Exportregeln sind mangelhaft. Ein Umdenken in der Rüstungspolitik der deutschen Bundesregierung ist bislang nicht in Sicht. In deutschen Medien wird darüber praktisch nicht berichtet.

Sachverhalt & Richtigkeit:

Kinder werden als Werkzeuge für kriegerische Handlungen missbraucht und die Welt schaut dabei zu. Aufgrund ihrer hohen Beeinflussbarkeit gelten sie als billige und formbare Ressourcen. Das Kinderhilfswerk UNICEF gibt an, dass derzeit schätzungsweise 250 Millionen Kinder von bewaffneten Konflikten bedroht sind. Mehr als 250.000 Kinder unter 18 Jahren sollen für kriegerische Handlungen eingesetzt werden. Die Rekrutierung verläuft jedoch nicht einvernehmlich. Nach Angaben einiger NGOs, darunter auch „terre des hommes“, werden Kinder entführt, unter Drogen gesetzt oder ihnen wird Gewalt angedroht, wenn sie sich weigern sollten, sich den Gruppierungen anzuschließen. Die Vereinten Nationen veröffentlichen jährlich einen Bericht zur aktuellen Lage von Kindern in bewaffneten Konflikten. Aus dem diesjährigen Report geht hervor, dass in Afghanistan, Somalia, Sudan und Südsudan, Syrien, Jemen und Myanmar Kinder und Jugendliche von staatlichen Instanzen und gewalttätigen Gruppierungen rekrutiert werden. Beispielsweise wurden im vergangen Jahr 54 Minderjährige in Afghanistan rekrutiert. Davon 38 Kinder und Jugendliche von den Taliban und insgesamt 15 Schutzbefohlene von der „Nationalen Widerstands-Front“ (NRF).

Ralf Willinger von der Kinderechtsorganisation „terre des hommes“ schreibt folgenden internationalen Übereinkommen eine wichtige Rolle zum Schutz von Kindern zu. Das erste offizielle Dokument zum Schutz von Kindersoldaten stammt aus dem Jahr 1949 und verbietet die Rekrutierung und den Einsatz von Kindern unter 15 Jahren. An diesem Protokoll orientiert sich auch das internationale Strafrecht, dass diese Handlungen als Kriegsverbrechen deklariert. Das Dokument ermöglicht jedoch immer noch die Rekrutierung junger Menschen zwischen 15 und 17 Jahren. Im Rahmen der Kinderrechtskonvention von 1989 wurde definiert, dass alle Personen unter 18 Jahre Kinder sind und somit Träger von Kinderrechten. In einer Überarbeitung der Konvention wurden die Schutzstandards von Kindern erhöht und eine Rekrutierung erst ab 18 Jahren erlaubt. In den „Pariser Prinzipien gegen rechtswidrige Rekrutierung von Kindern für Streitkräfte oder bewaffnete Gruppen“ wurde der Begriff „Kindersoldaten“ vollumfassend definiert. Insgesamt 105 Saaten, darunter auch Deutschland, verständigten sich, dass alle Kinder unter 18 Jahren, die in Verbindung mit Streitkräften oder bewaffneten Handlungen gebracht werden, als Kindersoldaten gelten, ganz gleich welche Tätigkeiten die Minderjährigen ausführen. Dies reicht vom Dienst an der Waffe bis hin zu Spionage, Minensuche, Botengängen und sonstige Hilfsdiensten.

Um Kinder und Jugendliche für kriegerische Handlungen einsetzen zu können, müssen leichte Waffen und dazugehörige Munition zur Verfügung stehen. Hierbei ist die Rede von Kleinwaffen und Leichten Waffen, welche unter der Abkürzung KLW zusammengefasst werden. Im Folgenden wird sich nur auf Kleinwaffen bezogen, da diese überwiegend von Kindersoldaten benutzt werden. Im Vergleich zu anderen Waffengattungen bestehen Kleinwaffen oftmals aus leichten Materialien und wenig Bauteilen. Dies ermöglicht eine leichte Instandsetzung und Wartung der Waffen. Der Umgang mit Kleinwaffen ist schnell zu erlernen, deshalb können sie aufgrund ihrer hohen Schusskadenzen und Durchschlagskraft auch in ungeübten Händen erhebliche Schäden anrichten. Die Organisation „Small Arms Survey“ mit Sitz in Genf gibt an, dass weltweit rund 875 Millionen Kleinwaffen im Umlauf sind. Es gibt international keine einheitliche Definition und Regelung, welche Waffentypen zu Kleinwaffen zählen. Nach Auffassung der Vereinten Nationen und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) fallen Revolver, Selbstlade- und Maschinenpistolen, Gewehre, Karabiner, Sturm- und leichte Maschinengewehre unter die Definition von Kleinwaffen, da sie von einer einzelnen Person bedient werden können. Die Europäische Union hingehen differenziert, ob die KLWs für militärische oder zivile Zwecke genutzt beziehungsweise produziert werden. Somit fallen unter den EU-Kleinwaffenbegriff Maschinengewehre, vollautomatische Maschinenpistolen, voll- und halbautomatische Gewehre und Schalldämpfer. Dieser Definitionen entfallen sonstige Handfeuerwaffen, wie beispielsweise Gewehre ohne Kriegswaffenlistennummer, Revolver, Pistolen, Scharfschützengewehre, Jagdgewehre, Sportpistolen und viele weitere. 

In Bezug auf KLWs verwendet Deutschland die Definition beziehungsweise die Unterteilung von militärischen und zivilen Waffen der Europäischen Union. Somit entfallen Exportgenehmigungen auf unterschiedliche Waffengesetze. In Deutschland unterliegen Rüstungsgüter je nach Einstufung dem Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffKontroG), dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und der dazugehörigen Außenwirtschaftsverordnung (AWV). Alle für Kindersoldaten nutzbare Kleinwaffen unterstehen dem Außenwirtschaftsgesetz, dass sowohl für militärische als auch zivile Waffen, sogenannte Dual-Use-Güter, greift. Eine Genehmigungspflicht seitens der deutschen Behörden besteht für alle Waffen, die unter der Ausfuhrliste 1A gelistet sind. Ein Großteil der Handfeuerwaffen und Zubehör wird unter der Position AL0001 und Kleinwaffenmunition beispielsweise unter Position AL0003 gelistet. Waffen, die keinen militärischen Charakter aufweisen, wie beispielsweise „zivile“ Sport- und Jagdgewehre unterliegen der EU-Feuerwaffenschutzverordnung oder dem deutschen Waffengesetz (WaffG). Die EU-Verordnung legt fest, dass Handfeuerwaffen, die keine Kriegswaffen oder Dual-Use-Güter sind, ohne Genehmigung innerhalb der Europäischen Union exportiert werden dürfen. Hierbei reicht eine Einfuhrerlaubnis des Empfängerlandes. Sollte dies außerhalb der EU liegen, muss eine Exportgenehmigung des jeweiligen exportierenden EU-Staates vorliegen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass als „zivil“ geltende Waffen ohne Genehmigung an ein weiteres EU-Land geliefert werden können. Liefert dieses Land die Waffen nun weiter, kann das ohne das Einverständnis Deutschlands geschehen.

Deutschland ist weltweit zweitgrößter Exporteur von Kleinen und Leichten Waffen. Da diese überwiegend genehmigungspflichtig sind, müssen die erteilten Genehmigungen sowie Exporte dokumentiert werden. Die Kleinwaffenexporte werden zum einen durch das UN-Register für konventionelle Waffen (UNROCA) und zum anderen durch das Statistische Bundesamt (DESTATIS) ausgewiesen.

Die Kleinwaffenlieferungen der Bundesrepublik belaufen sich auf 97 Millionen Euro im Jahr 2023. Diese und folgende Zahlen werden aus einem Bericht des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz entnommen. Neunzig Prozent der Lieferungen erhielten NATO-, EU- und gleichgestellten Staaten (Australien, Neuseeland, Schweiz und Japan). In dem Bericht heißt es „Lieferungen von Kleinwaffen und Kleinwaffenteilen wurden damit fast ausschließlich für den privilegierten Länderkreis der EU- und Bündnispartner genehmigt“. Der Rest der Genehmigungen entfiel auf Drittländer wie die Ukraine, die Republik Korea und Singapore. 

Insgesamte entfielen 4,99 Milliarden Euro der Rüstungsexporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern im Jahr 2023 an Drittländer, die der Entwicklungsausschuss DAC in Spalte vier ihrer Liste aufführt. Zum einen werden dort Afghanistan und Myanmar als Empfängerländer gelistet. Wie bereits erwähnt verletzen diese Staaten Menschen- und Kinderrechte.

Das von der Bundesregierung unterzeichnete Internationale Rüstungsabkommen „Arms Trade Treaty“ (ATT) von 2014 steht nicht im Verhältnis zu Deutschen Rüstungsexporten. In dem Abkommen wird sich auf die UN-Definition von Kleinen und Leichten Waffen berufen, somit bezieht das Abkommen auch Sport-, Jagdgewehre, Pistolen und Revolver mit ein. Mit der Unterzeichnung des Abkommens verpflichtet sich die Bundesregierung diese Waffen nicht zu exportieren, wenn damit Kriegsverbrechen in den jeweiligen Empfängerländern begangen werden können. In Artikel 7 Absatz 4 ATT wird festgehalten, dass Exporte zu prüfen sind, wenn durch diese Gewalt an Kindern gefördert wird. Da die Bundesregierung jedoch in Bezug auf Kleinwaffen die Definition der Europäischen Union verwendet, setzt sie ihre Verpflichtungen in der Praxis nicht um. „Deutschland verstößt ganz klar gegen internationales Recht und Völkerrechte“, erklärt Ralf Willinger, Ansprechpartner für Kinderrechte bei „terre des hommes“.

Der Waffenproduzent Heckler & Koch gehört zu den größten Kleinwaffenherstellern Deutschlands und liefert nachweislich hohe Mengen von KLW in kinderrechtsverletzende Staaten. Auf eine Anfrage, ob das Unternehmen eine Zusammenzusammenhang zwischen Kleinwaffenexporten und Kinderrechtsverletzungen in Drittländern sehe, erfolgte keine Stellungnahme. 

Die Exportwege und Exportkontrollen der Waffenlieferungen weisen einen weiteren Missstand auf. Grundsätzlich bedürfen Waffenexporte, die dem Kriegswaffenkontrollgesetz und dem Außenwirtschaftsgesetz unterstellt sind, einer Genehmigung der Bunderegierung. Wird ein Antrag eines Rüstungsunternehmens genehmigt, muss die Lieferung auf direktem Wege an das jeweilige Empfängerland zugestellt werden. Diese sind dann prinzipiell dazu verpflichtet, die Waffen nicht weiter zu exportieren. Ein wichtiger Impuls wurde in den Kleinwaffengrundsätzen der Bundesregierung im Jahr 2015 gesetzt. Hierbei verpflichtete sich die Bundesregierung, Exporte in Drittländer einzuschränken und nur in erheblichen Ausnahmen zu genehmigen. Anzumerken ist hierbei, dass die Grundsätze nur Handlungsspielraum für die jeweilige Bundesregierung sind und nicht gesetzlich verpflichtend. Positiv festzustellen ist, dass weniger Exportgenehmigungen von Kleinwaffen in Drittländer stattfinden als in den 2000er Jahren. Dennoch verbleiben die genehmigten Anträge für NATO-, EU- und gleichgestellte Staaten weiterhin auf einem hohen Niveau. Waffenlieferungen an diese Staaten werden prinzipiell häufiger und schneller genehmigt, da man davon ausgehe, dass diese Länder ein ähnlich striktes Exportrecht wie Deutschland haben. Ralf Willinger sieht dies kritisch, da Länder wie die Vereinigten Staaten, Südkorea, Singapore und die Türkei seiner Auffassung nach Drehschreibe für deutsche Rüstungsexporte seien. Es zeigt sich, dass NATO-, EU- und gleichgestellte Staaten bei Kleinwaffenexporten in einigen Vorschriften bevorzugt werden. Zum einen wird für Kleinwaffenexporte das Prinzip „Neu für Alt“ vorgeschrieben. Hierbei besagt das Außenwirtschaftsgesetz, dass Empfängerstaaten sicherstellen müssen, dass alte Waffen ausgesondert werden, bevor es zu einer erneuten Waffenlieferung kommt. NATO-, EU- und gleichgestellte Staaten sind von dieser Pflicht entbunden. Das Prinzip greift ebenfalls nur für Kleinwaffen, die auch als Kriegswaffen gelten. Durch solche „Schlupflöcher“ in den Gesetzen wir die Verbreitung von Kleinwaffen nur gefördert und nicht wie gewünscht eingeschränkt. Eine weitere Ausnahme stellen Post-Shipment-Kontrollen dar. Diese sollen ein Instrument sein, um den Endverleib von Lieferungen sicherzustellen. Empfängerländer von Kleinwaffen können diese Kontrollen jedoch verweigern und NATO-, EU- und gleichgestellten Staaten werden die Kontrollen auch nicht vorgeschrieben. 

Festzuhalten ist, dass Exportkontrollen in der Praxis mangelhaft umgesetzt werden und NATO-, EU- und gleichgestellte Staaten Bevorzugung erfahren, obwohl nicht garantiert werden kann, dass die Exporte in diesen Ländern verbleiben. Dies zeigt beispielsweise der Fall des Deutschen Rüstungsunternehmens Sig Sauer. Das Unternehmen exportierte zwischen 2009 und 2011 insgesamt 47.000 Pistolen an die amerikanische Tochtergesellschaft Sig Sauer Inc. Das Unternehmen versicherte der Bundesregierung, dass die Waffen in den USA verbleiben. Dies entsprach aber nicht der Wahrheit. Insgesamt 38.000 Waffen wurden an die staatlichen Streitkräften Kolumbiens weiterexportiert, obwohl dies von der Bundesregierung nicht genehmigt worden wäre, da Kolumbien in diesem Zeitraum wissentlich Kindersoldaten im Bürgerkrieg einsetzte. Die Bekanntmachung eines solchen Falles änderte bislang nichts hinsichtlich strengerer Kontrollen von Kleinwaffenexporten oder Sanktionen von Staaten wie beispielsweise den USA bei solchen Vergehen. 

Relevanz:

Aktuelle sind schätzungsweise 250.000 Kinder und Jugendliche in kriegerische Handlungen verwickelt. Die Zahlen sind so hoch wie nie zuvor. Vergrößert wird dieses Problem durch Kleinwaffenlieferungen. Deutschland ist zweitgrößter Exporteur von Kleinwaffen und hat sich durch das Unterzeichnen internationaler Abkommen zum Schutz von Kindern verpflichtet, seine Rüstungspolitik dementsprechend anzupassen. Aktuelle und vergangene Exportgenehmigungen deutscher Kleinwaffenlieferungen zeigen auf, dass Deutschland seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Es fehlt an einer international einheitlichen Definition von Kleinwaffen und der Einhaltung von internationalen Rüstungsabkommen, wie des „Arms Trade Treaty“. Zudem werden NATO-, EU- und gleichgestellte Staaten bei Exportgenehmigungen bevorzugt und Kontrollen vernachlässigt, sodass der Endverbleib von Waffenlieferungen nicht festzustellen ist. 

Vernachlässigung:

Nichtregierungsorganisationen wie beispielsweise terre des hommesamnesty internationalAktion Aufschrei, UNICEF, Brot für die Welt, Deutsches Bündnis Kindesoldaten, Ohne Rüstung leben und viele weitere berichten regelmäßig auf deren Webseiten, in Pressemitteilungen und Studien über die Verletzungen von Kinderrechten, Rekrutierungen und Einsatz von Kindersoldaten. Die klassische Medienlandschaft berichtet selten über Kindersoldaten und Zusammenhänge mit deutschen Rüstungsexporten. Es gibt ältere Artikel der Süddeutschen Zeitung (2017) und der TAZ (2020), in denen über Kindersoldaten und deutsche Waffenlieferungen berichtet wird. Der Rest der Berichterstattung beläuft sich jedoch überwiegend auf erhöhte Kleinwaffenexporte im Allgemeinen, ohne Bezug auf Kinderrechtsverletzungen, wie beispielsweise von der Zeit (2020) und ebenfalls der TAZ (2020). Aktuellere Berichterstattung gibt es nicht wirklich.