2023: Top-Thema 09

Eingeschränkte Meinungs- und Kunstfreiheit in Spanien

Abstract:

In Spanien wird das Recht auf freie Meinungsäußerung und freien künstlerischen Ausdruck durch die geltende Gesetzgebung eingeschränkt, insbesondere durch Artikel 578 des spanischen Gesetzbuches. Internationale Aufmerksamkeit erlangte das repressive Vorgehen Spaniens durch die Verhaftung des Rappers Pablo Hasél, dem vorgeworfen wird, „staatliche Institutionen beleidigt“ und „Terrorismus verherrlicht“ zu haben. Neben dem europäischen Gerichtshof ermahnen auch die Menschenrechtskommissarin des europäischen Parlaments und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International die spanische Regierung, die Gesetze zu ändern und die Meinungs- und Kunstfreiheit weiter zu gewährleisten.

Sachverhalt & Richtigkeit:

Spanien ist Europameister in der Verhaftung von Künstler:innen. Spätestens mit der Verhaftung des katalanischen Rappers Pablo Hasél, der mit bürgerlichem Namen Pablo Rivadulla heißt, im Frühjahr 2021, schaut ganz Europa auf das Strafrecht und den Schutz der Meinungsfreiheit in Spanien. Pablo Hasél wird vorgeworfen „staatliche Institutionen beledigt“ und „Terrorismus verherrlicht“ zu haben. Insbesondere geht es auch um den Vorwurf der üblen Nachrede über das spanische Königshaus. Neben einer neunmonatigen Haftstrafe verbüßt er auch ein sechs Jahre andauerndes Berufsverbot im öffentlichen Sektor.

Das Código Penal (spanisches Strafgesetzbuch) enthält die Straftatbestände der Verherrlichung des Terrorismus sowie der Beleidigung und Verleumdung der Krone und staatlicher Institutionen, sodass jede negative Äußerung zu diesem Thema als Straftat gewertet werden kann. Es sind nicht nur katalanische oder baskische Politiker:innen, denen diese Straftatbestände vorgeworfen werden, sondern insbesondere Künstler:innen, die die internationale NGO Freemuse in ihren Jahresberichten („The Stae of Artistic Freedom“) dokumentiert. Der Fall von Pablo Hasél ist nur ein Beispiel für die vielen Fälle von Verurteilungen wegen politisch kontroversen Meinungsäußerungen. So wird in Spanien das Strafrecht in einer Weise angewendet, die es dem Staat ermöglicht, Meinungen zu zensieren, die ihm nicht gefallen. Hasel hat den früheren König Juan Carlos unter anderem als „Dieb“ und „Schmarotzer“ genannt und wurde dafür verfolgt. Inzwischen hat Carlos einen Steuerbetrug eingestanden und ist in die Schweiz geflogen wo gegen ihn wegen Korruption und Geldwäsche ermittelt wird.

Die Menschenrechtskommissarin des Europäischen Parlaments, Dunja Mijatovic, hat Spanien aufgefordert, das Recht auf freie Meinungsäußerung besser zu schützen und sein Strafrecht zu ändern. In einem Schreiben an das spanische Justizministerium kritisiert Dunja Mijatovic die Definition der Verherrlichung des Terrorismus im spanischen Strafgesetzbuch als vage und mehrdeutig. Sie sprach sich auch gegen eine Verurteilung wegen Beleidigung der Krone aus. Was den Fall Hasél betrifft, ist sie der Ansicht, dass dieser durch die Kunstfreiheit geschützt ist.

Spanien wurde bereits viermal (2011, 2016, 2018 und 2021) vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt, weil es Beleidigungen von Personen des öffentlichen Lebens und Institutionen mit Gefängnisstrafen ahndet. Zwei der Urteile gegen Spanien beziehen sich auf den Straftatbestand der Beleidigung der Krone. Der Europäische Gerichtshof hat Spanien daran erinnert, dass der Schutz von Staatsoberhäuptern durch ein spezielles Gesetz über Beleidigungen nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist, die auch von Spanien unterzeichnet wurde.

Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International fordert die spanische Regierung seit Jahren auf, seine Gesetze zu ändern. In einem 2018 veröffentlichen Bericht mit dem Titel „Tuitea… si te atreves. Cómo las leyes antiterroristas restringen la libertad de expresión en España”, klagt AI an, wie Menschen auf der Grundlage von Artikel 578 strafrechtlich verfolgt und politische oder provokative Äußerungen, insbesondere in sozialen Netzwerken und im künstlerischen Bereich, unterdrückt und zensiert werden. C.Tangana, einer der populärsten Sänger Spaniens, hat sich Amnesty International mit einem Video angeschlossen, in dem er anklagt, dass solche Inhaftierungen ungerecht sind. Um das Recht auf freie Meinungsäußerung in Spanien zu verteidigen, fordert Amnesty International die Aufhebung des Artikels 578 des Strafgesetzbuches sowie die Einstellung der Anklagen gegen die von diesem Gesetz betroffenen Personen, die lediglich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben. Er fordert außerdem, dass die Rechte der Opfer des Terrorismus geschützt werden, anstatt die Meinungsfreiheit in ihrem Namen einzuschränken. Schließlich fordert AI zusammen mit den Organisationen No Somos Delito, Defender a Quien Defiende, La Plataforma en Defensa de la Libertad de Información, La Coordinadora de ONG de Desarrollo de España und Greenpeace auch die Streichung der Straftatbestände der Beleidigung der Krone und staatlicher Institutionen sowie der Beleidigung religiöser Gefühle aus dem Strafgesetzbuch, die ebenfalls gegen die Meinungsfreiheit verstoßen.

Hintergrund der Reformierung des Strafgesetzbuches und der Verschärfung von Artikel 578 sind die Anschläge von Paris im Jahr 2015, welche die damalige spanische Regierung unter Mariano Rajoy (Partido Popular) zum Anlass nahm, um der sozialen Mobilisierung der Oppositionspartei entgegenzuwirken. In den internationalen Medien wird über Artikel 578 als  Anti-Terror-Gesetz gesprochen, dass die Meinungsfreiheit einschränken soll.

Artikel 578 entspricht der Ley Orgánica de protección de la seguridad ciudadana (Organgesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit), das in Spanien als „Ley Mordaza“ („Knebelgesetz“) bekannt ist. Dieses Gesetz stellt unter anderem jede Person unter Strafe, die in einer öffentlichen Handlung eine terroristische Straftat verherrlicht oder rechtfertigt, und diejenigen, die eine terroristische Straftat begehen, sowie jede Handlung, die die Opfer des Terrorismus oder ihre Angehörigen demütigt. Die Strafen können zwischen einem und zehn Jahren Gefängnis, einer Geldstrafe und einem mehrjährigen Ausschluss von öffentlichen Ämtern oder Tätigkeiten liegen. Die Nutzung des Internets oder elektronischer Medien zur Begehung der genannten Straftaten wird mit einer höheren Strafe geahndet. Diese Reform hat zu einem drastischen Anstieg der Verfolgungen und Verurteilungen geführt. Journalisten, Tweeter und Künstler wurden auf der Grundlage von Artikel 578 strafrechtlich verfolgt. Viele dieser Verfahren wegen Verherrlichung des Terrorismus sind auf Äußerungen zurückzuführen, die als Verherrlichung der Handlung von Terrorgruppen angesehen werden. Nach Ansicht von Amnesty International (AI) besteht das Problem mit Artikel 578 darin, dass er zu mehrdeutig formuliert ist. Zwischen 2014 und 2016 wurde die „Operación Araña“ durchgeführt. Diese Operation ist Teil der von den Behörden durchgeführten Anti-Terror-Kontrollen, in diesem Fall zur Kontrolle von Kommentaren im Internet. Im Rahmen der Aktion wurden 75 Tweeter verhaftet. Bislang hat sie zur Inhaftierung von Alfredo Ramírez geführt, weil er zwei ETA-Mitglieder bei ihrer Nutzung von Twitter begrüßte. Alfredo Ramírez verbüßte seine Strafe von eineinhalb Jahren ab November 2018.

Relevanz:

Spanien ist ein europäisches Land, als demokratisch und fortschrittlich gilt. Seit einigen Jahren ist Spanien aber Europameister in der Verurteilung von Sänger:innen, die mit ihren Texten gegen den viel kritisierten Artikel 578 verstoßen. In der 2019 veröffentlichen Studie von Freemuse, einer NGO, die sich für die Freiheit der Kunst einsetzt, lag Spanien mit 14 verurteilten Sänger:innen auf dem ersten Platz vor dem Iran und der Türkei. Laut den letzten Studien von Freemuse (2020,2021,2022) ist Spanien immer noch mit einer Anzahl von 11 das europäische Land mit den meisten verurteilten Künstler:innen.

Das spanische Strafgesetzbuch betrifft nicht nur die künstlerische Freiheit, sondern auch jeden, der eine Meinung vertritt, die für einen Teil der Gesellschaft beleidigend sein könnte. Solche im spanischen Strafgesetzbuch verurteilten Straftaten widersprechen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die besagt, dass „jeder Mensch das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung hat; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert zu vertreten und Meinungen ungehindert zu äußern…“. Diese Erklärung wird durch die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) unterstützt.

Vernachlässigung:

Zu dem Gerichtsverfahren gegen den Rapper Pablo Hasél fanden sich enin einigen deutschen Medien Berichte. Über Spanien als das Land mit den meisten zu Gefängnisstrafen verurteilten Sängern gibt es zwei TELEPOLIS-Artikel „Spanien ist Weltmeister bei der Inhaftierung von Musikern“ (18.04.2020) und „Spanien will Weltmeister bei der Inhaftierung von Musikern bleiben“ (17.02.2021). Weitere Berichte über die gefährdete Meinungs- und Kunstfreiheit n Spanien fanden sich vor einigen Jahren zwar in einigen Medien (2015 in The New York Times „Spain’s ominous gag law” und 2018 im Deutschlandfunk „Wenn Twitter zur Straftat wird“) , der Diskurs wurde aber nicht weiter geführt. Darüber, wie der spanische Staat das Strafgesetzbuch zur Zensur von Meinungen und zur Einschränkung der Meinungsfreiheit nutzt, wird in Deutschland fast gar nicht berichtet.