Sexualisierte Gewalt im Kongo
Abstract:
Sexualisierte Gewalt wird in allen Kriegen und Konflikten systematisch als Waffe eingesetzt. In der Demokratischen Republik Kongo finden seit 25 Jahren Massenvergewaltigungen an Frauen statt. Diese bis heute andauernde Menschenrechtsverletzungen werden meist von bewaffneten Milizen verübt, die versuchen, die Rohstoffe des Landes zu erbeuten. Bei Opferzahlen in Millionenhöhe scheitern die medizinische Versorgung und die Strafverfolgung massiv.
Sachverhalt & Richtigkeit:
Die Demokratische Republik Kongo (DR Kongo) ist das Land mit den weltweit meisten Fällen von sexualisierter Gewalt. Eine 2011 veröffentliche Studie im „American Journal of Public Health“, schätzt, dass zwischen 2000 und 2010 über 1,7 Millionen Vergewaltigungen stattfanden. Im Zeitraum von 2006 -2007 sollen es 400.000 Vergewaltigungen gewesen sein, d.h. 1100 pro Tag. Aktuelle Zahlen zu nennen ist schwierig.
Ob sexualisierte Gewalt in Kriegen tatsächlich zugenommen hat, lässt sich schwer sagen. Die meisten Fälle bleiben im Dunklen, weil die betroffenen Frauen aus Scham nicht aussagen.
Im Jahresbericht der UN-Beauftragten sind für 2021 fast 3.300 Fälle in 18 Ländern festgehalten, ein Drittel davon in der DR Kongo – insgesamt eine Steigerung von etwa 800 Fällen gegenüber dem Vorjahr.
Laura Fix von der Frauenhilfsorganisation „medica mondiale“ geht davon aus, dass sich die Zahlen weiterhin „in einem dramatisch hohen Bereich befinden“. Die Zahl der überlebenden Opfer wird aktuell auf über 200.000 geschätzt.
Grund für die Konflikte ist der Rohstoffreichtum des Landes. Betrachtet man die Bodenschätze, so ist die DR Kongo eines der reichsten Länder der Welt. Ganz anders sieht es allerdings mit der Bevölkerung aus. Mit einem Jahreseinkommen von 608€ pro Kopf und einer der höchsten Geburtensterblichkeitsrate gehört die DR Kongo laut statistischem Bundesamt zu den ärmsten Ländern der Welt.
Bewaffnete Milizen verkaufen kongolesischen Rohstoffe nach Ruanda und finanzieren so ihre Waffen. Diese werden dann eingesetzt, um die DR Kongo weiter auszubeuten. „Wenn dieser Kreislauf nicht durchbrochen wird, kann das Leid kein Ende nehmen“, sagt Dr. Denis Mukwege, der seit Jahrzenten für Frauenrechte in der DR Kongo kämpft. Er und seine Unterstützer vermuten sogar, dass sich die Regierung in Ruanda an der Ausbeutung direkt beteiligt, wie z.B. beim Coltan-Handel. In der DR Kongo gibt es rund 900 Minen, in Ruanda keine einzige, dennoch wurden schon 2014 ca. 50% des weltweiten Coltans von Ruanda aus verkauft.
Unter dem seit 25 Jahren herrschenden Konflikt zwischen den vielen unterschiedlichen bewaffneten Gruppen führen zu einer desaströsen humanitären Lage, unter der besonders Frauen und Kinder leiden. Einer dieser Konflikte ist der akut aufgeflammte um die Rebellengruppierung M23, bekämpft durch die kongolesischen Regierungsstreitkräfte FARDC sowie eine regional entsandte Truppe. Betroffen ist der Osten in der Region um den Kivu-See, wo Massenvergewaltigungen systematisch als Waffe eingesetzt werden, um die Zivilbevölkerung für eine mutmaßliche Zusammenarbeit mit dem Gegner zu bestrafen und die Dorfgemeinschaften zu zerstören.
Maria von Welser, die von 2008-2014 als stellvertretende Vorsitzende von Unicef Deutschland agierte, war zweimal in der DR Kongo und berichtet von einem typischen Fall der 28-jährigen Kabene. Ihr Dorf wurde von bewaffneten Truppen überfallen, Männer und Kinder wurden getötet, die Frauen wurden vergewaltigt. „Wir hatten gar nicht so viele Gräber, um alle Toten zu beerdigen“, erzählt Kabene.
Das Vorgehen der Täter ist oft ähnlich. Sie plündern Dörfer, töten die Männer und Kinder und vergewaltigen die Frauen, teilweise noch vor den Augen ihrer Angehörigen. Oft werden die Frauen auch in die Lager der Milizen verschleppt und dort über Monate vergewaltigt. Bis heute sieht Frau von Welser keine Verbesserung: „Die Situation bleibt unverändert. Doch mittlerweile interessiert sich niemand mehr dafür. Die Menschen leben in ständiger Angst vor dem nächsten Überfall.“ Im Jahr 2020 konnte außerdem eine Zunahme von sexualisierter Gewalt an Männern beobachtet werden.
Das Hilfswerk „Ärzte ohne Grenzen“ berichtet im Jahr 2022 von 9550 von ihnen behandelten Opfern, wobei es betont, dass sich nur die wenigsten Frauen in medizinische Hilfe begeben. Im Jahr 2020 konnten nur 25% der Opfer von sexualisierter Gewalt medizinisch behandelt. Das Gesundheitssystem vor Ort ist schlecht, Krankenversicherungen oder ähnliches gibt es nicht. In der DR Kongo muss sich laut statistischem Bundesamt durchschnittlich ein Arzt um 2500 Patienten kümmern. Doch auch, wenn die Möglichkeit zur Versorgung besteht, lassen sich Frauen nicht behandeln. „Viele haben Angst davor, von ihrer Dorfgemeinschaft verstoßen zu werden und sprechen nicht über ihr Leiden“, erklärt Laura Fix von „medica mondiale“.
Typische Krankheitsbilder und Verletzungen, die durch sexualisierte Gewalt entstehen sind Schüsse in Genitalien, Fisteln im Intimbereich, Verletzungen der inneren Organe sowie Risse der Vagina oder des Anus. Spezielle Krankenhäuser, wie das Panzi-Krankenhaus, sind für die Behandlung von Opfern sexueller Gewalt, doch die Kapazitäten von 500 Betten reichen nicht aus, und viele Frauen müssen sich Betten teilen. Täglich werden in Panzi fünf bis sieben neue Vergewaltigungsopfer behandelt. Die Zahl der seit Öffnung im Panzi Hospital behandelten Frauen wird nach eigenen Angaben aktuell auf 85.000 geschätzt.
Auch Kinder fallen den Milizen zum Opfer. Laut Berichten von Unicef und der Uno-Flüchtlingshilfe werden 10 Kinder pro Tag in der DR Kongo vergewaltigt. Das Täterprofil konnte in Umfragen mit 4311 Opfern zwischen 2004 und 2008 grob festgestellt werden. Bei 52% der Täter handelte es sich um bewaffnete Angreifer, 6% waren Zivilisten und 42% konnten nur als Angreifer ohne nähere Informationen festgestellt werden.
Seit Beginn der militärischen Konflikte findet die Gewalt gegen Frauen zunehmend ihren Weg in die Gesellschaft. Eine Befragung an Schulen in Uvira in Süd-Kivu, die im „International Journal of progressive Science and Technologies“ veröffentlicht wurde ergab, dass 76,8% der Mädchen Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch hatten. Als Täter wurden Lehrer, Freunde der Familie und in Einzelfällen sogar Schulleiter genannt.
Es zeigt sich, dass sexuelle Übergriffe nicht mehr nur eine Waffe von kriegerischen Milizen sind, sondern auch von Zivilisten eingesetzt wird. Jürgen Hauskeller, Vorstandsmitglied des Vereins „Hilfe für Menschen im Kongo e.V.“, sieht die Rolle der Frau in der DR Kongo massiv unterdrückt: „Ich sehe keine Verbesserung, es wird eher noch schlimmer.“ Der Verein engagiert sich vor allem im Westen des Landes um die Hauptstadt Kinshasa. Hier herrscht kein Krieg, dennoch ist sexualisierte Gewalt Alltag. „In den Waisenhäusern von Kinshasa gibt es viele junge Mädchen, die sogar schon von Jugendlichen vergewaltigt wurden“, erklärt Hauskeller. Der Wille vieler Frauen und Mädchen etwas zu verändern ist groß. Bei der Umfrage in Uvira forderten 86% der Mädchen, dass man Jungen in der Schule beibringen muss, die Mädchen zu respektieren.
Aus Sicht von Maria von Welser interessiere sich die Regierung in Kinshasa viel zu wenig für das Leid der Menschen. Das bestätigt auch eine Befragung der „Havard Humanitarian Initiative“ mit 7730 Personen aus dem Jahr 2019. Nur 4% der Frauen und 12% der Männer hielten den Ost-Kongo für sicher.
Um die erschreckenden Zustände in der DR Kongo zu verbessern, leisten viele NGOs wie: „World Vision“, die „Uno-Flüchtlingshilfe“, „Ärzte ohne Grenzen“, „PAIF“ oder „Unicef“ Unterstützung. Doch auch sie stoßen massiv an ihre Grenzen. Mediziner, Psychologen und Juristen werden den Frauen kostenlos zur Verfügung gestellt, doch die Mittel reichen nicht aus. Nur 15% der Opfer erfahren psychologische Unterstützung. Prozesskostenhilfe, um die Täter vor Gericht bringen zu können erhielten im Jahr 2020 nach Angaben von „Ärzte ohne Grenzen“ nur 5%. Viele Opfer kennen ihre Täter sogar, doch ohne die finanziellen Mittel ist eine Verurteilung aussichtslos.
Über allem steht die größte Rettungsmission, die es jemals in der Geschichte der Vereinten Nationen gegeben hat. Die „Mission de l’Organisation des Nations Unies en République
Démocratique du
Congo“ (MONUSCO) wurde 1999 gestartet und läuft bis heute. Zum Einsatz kommen
bewaffnete UN-Truppen. Erschreckend dabei sind allerdings die Inhalte einiger
UN interne Berichte, die im Jahr 2017 von der amerikanischen Nachrichtenagentur
„AP news“ eingesehen werden konnten. Interne UN-Dokumente deuteten in
Einzelfällen sogar auf Vergewaltigungen durch UN-Soldaten hin.
Im April 2019 hat der UN-Sicherheitsrat auf Initiative Deutschlands eine
Resolution gegen sexualisierte Gewalt in Konflikten angenommen. Mit der
Resolution zeigt der Sicherheitsrat seine Entschlossenheit, die
Verantwortlichen für sexualisierte Gewalt stärker zur Rechenschaft zu ziehen.
Insgesamt sieht Dr. Gisela Schneider, Direktorin des „Deutschen Institut für ärztliche Mission“ den Erfolg der Hilfsmaßnahmen bis heute kaum:
„Die Situation für viele Frauen bleibt unverändert gefährlich. Wir alle tragen eine Mitverantwortung. Was die DR Kongo braucht, ist Frieden.“
Relevanz:
Sexualisierte Gewalt an Frauen ist Bestandteil aller Konflikte und zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Dabei geht es oft gezielt um die Zerstörung von Familien und ganzen Dörfern, um Vertreibung und Traumatisierung. Fest steht: Es handelt sich nicht um vereinzelte Verbrechen, ausgeführt von seelisch abnormen Tätern, sondern um gravierende Menschenrechtsverletzungen, für einen Kampf um Rohstoffe, die letztlich in europäischen Geräten landen.
Vernachlässigung:
Das Maß der Berichterstattung über die Lage im Kongo hat mit dem Andauern der Konflikte enorm abgenommen. So berichten Medien wie u.a. die FAZ („Offizier soll Massenvergewaltigung befohlen haben“ vom 19.1.2011) noch ausführlich über die vorherrschenden Zustände und deren Hintergründe. Aktuell spielt die Lage im Kongo in der deutschen Berichterstattung aber kaum eine Rolle mehr. Doch an der massiven Ausbeutung der Frauen hat sich nichts verändert.