Boliviens Wirtschaftswachstum auf Kosten des Klimas und der Bevölkerung
Abstract:
Die bolivianische Regierung unter Führung von Luis Arce (Bewegung für den Sozialismus) gestattet ausländischen Unternehmen schädliche Bohrungen im Nationalpark Madidi. Dieser zählt zu den artenreichsten Nationalparks der Welt. Obwohl es den Menschen, den Tieren und dem Klima schadet, werden die profitablen Bohrungen nicht verhindert, sondern sogar unterstützt. Auch im Süden des Landes wird am Berg Cerro Rico unter nahezu unmöglichen Bedingungen gearbeitet. Hier wird besonders nach Lithium gebohrt, welches für Batterien von „grünen“ E-Autos und E-Scootern benötigt wird.
Sachverhalt & Richtigkeit:
Boliviens Wirtschaft blüht als eine der am stärksten wachsenden Volkswirtschaften Südamerikas auf. Zum einen lebt sie stark vom Export. So brachte allein 2021 der Goldverkauf dem Staat 2,557 Milliarden US-Dollar ein. Zum anderen betrug das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes 6,1 Prozent gegenüber 2020. Außerdem führt die Weltbank Bolivien inzwischen als „low middle income country“. Doch welche Auswirkungen bringt der Wirtschaftsboom mit sich?
Den Preis zahlen strukturell Bevölkerung, Tiere und Umwelt. Beispielhaft nachzuvollziehen ist das an den Bohrungen nach Gold im Madidi Nationalpark. Dieser beheimatet ein Naturschutzgebiet, in dem verschiedene Tierarten wie etwa Großkatzen, Brillenbären, Nordandenhirsche, Tapire oder auch Flussdelfine leben. Um die Bohrungen durchzuführen, wird vornehmlich auf giftige Stoffe gesetzt. Dabei wird Quecksilber am häufigsten verwendet, um das Gold vom Gestein zu trennen. Allein im Jahr 2021 wurden dafür 180 Tonnen Quecksilber nach Bolivien importiert. Durch den Trennvorgang werden die Wasserquellen des Naturschutzgebietes kontaminiert. Eine erhöhte Aufnahme von Quecksilber kann zu einer Schädigung des zentralen Nervensystems führen und Nierenschäden auslösen. Das gilt sowohl für Menschen als auch für Tiere. Bei unter einer Quecksilbervergiftung leidenden Tieren wurden darüber hinaus Verhaltensänderungen und zurückgehende Fortpflanzungsraten dokumentiert. Trotzdem lässt sich das Gift in ersten Messungen bereits jetzt im Blut der ansässigen Bevölkerung nachweisen: Die genommenen Proben zeigten Werte von bis zu 27ppm Quecksilber an. Laut Weltgesundheitsbehörde liegt der Grenzwert für unschädliche Mengen an Quecksilber im Körper bei lediglich 1ppm.
Nicht nur das Abschürfen von Gold ist ein relevanter Aspekt, um die Rolle des aufsteigenden Exporteurs Bolivien betrachten zu können. Ein weiteres Beispiel der prekären Situation ist die Gewinnung von Lithium. Dieses wird in Bolivien u.a. am Berg Cerro Rico unter lebensbedrohlichen Bedingungen gewonnen. Der Berg ist einsturzgefährdet, in ihm herrschen Temperaturen von bis zu 40 °C und sein hoher Schwefelgehalt erschwert die Atmung der Belegschaft. Viele Bergarbeiter ertragen ihre Arbeit nur durch die Einnahme von leistungssteigernden und hungerunterdrückenden Kokablätter, die in Deutschland als illegale Droge eingestuft werden. Schätzungsweise arbeiten 6.500 Kinder in den Minen des Berges. Nach äußerst frühen Toden der ehemaligen Minenarbeiter (viele werden nur knapp älter als 30 Jahre) sehen sie sich dazu gezwungen, ihre Familien versorgen zu müssen.
Weder profitieren die ansässigen indigenen Bevölkerungen noch die Arbeiter vom Wirtschaftsaufschwung Boliviens. Viel eher schadet er ihnen im großen Ausmaß. Das Ziel der bolivianischen Regierung ist es, zu einem weltweit führenden Lithiumproduzenten zu werden.
Proteste gegen diese Lebensbedingungen scheinen kaum hilfreich zu sein. 2016 forderten Minenarbeiter höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Es kam sogar zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen der Politik und den Minenarbeitern. Beide Parteien verzeichneten dabei Tote. Die Arbeitssituation hat sich seitdem aber kaum verbessert. Daran hat sich auch nach dem Regierungswechsel im Jahr 2020 nichts geändert.
In mehreren Städten Boliviens finden regelmäßig Proteste gegen die verschiedenen Bohrungen statt. Mehrere Studien bestätigen die Gefahren durch die Bohrungen und auch die Vereinten Nationen kritisierten die Vorgänge in Bolivien. Daraus resultierende Konsequenzen oder großflächige mediale Aufmerksamkeit blieben bisher aber aus. Es zeigt, dass systematisch wirtschaftliche Interessen über Menschenrechten stehen – im wohlwollenden Wissen, dass viele Industriestaaten verstärkt E- Autos in Zukunft anbieten wollen.
Elektromobilität wird häufig als die umweltfreundlichere Variante im Vergleich zu den Verbrennungsmotoren angepriesen. Das unter den geschilderten Umständen gewonnene Lithium wird in Deutschland jedoch vor allem für die Lithium-Ionen-Akkus von E-Scootern verwendet. Die elektronisch betriebenen E- Roller sollen, vorwiegend in Großstädten, die Fahrt mit kraftstoffbetriebenen Fahrzeugen (z. B. Autos oder Motorrädern), für Kurzstrecken ersetzen und damit einen positiven Beitrag für die Umwelt leisten und die Verkehrsinfrastruktur entlasten. In Zeiten der Klimakrise sind umweltbewusste Fortbewegungsformen eine wichtige Innovation und Maßnahme, um von treibstoffbetriebenen Kraftfahrzeugen umzusteigen und CO2-Emissionen zu sparen. Auch in den folgenden Jahren soll nach einer Prognose des Handelsblatts die Nachfrage und die Produktion des Rohstoffes Lithium immer weiter ansteigen. Im Jahr 2030 soll es, beim Beibehalt der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung, zu einer Rohstoff-Lücke kommen und die weltweite Nachfrage wird nicht mehr gedeckt werden können. Die Verbraucher der E-Scooter sind sich oftmals nicht bewusst, dass die Akkumulatoren einen wesentlichen Beitrag zur Erhöhung des CO2-Ausstoßes haben und der wirtschaftliche Aufschwung in Bolivien zu einer Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt führt. Stattdessen wird es als grüne Alternative dargestellt.
Relevanz:
Die Situation rund um den Amazonas in Brasilien erfährt eine relativ hohe Aufmerksamkeit in den Medien. Nicht nur durch Klimaaktivist:innen, sondern auch von den Medien, die das Thema in Zusammenhang mit der brasilianischen Präsidentschaftswahl 2022 aufwarfen. Der Madidi Nationalpark, seine Einwohner, seine vielfältigen Tierarten und das riesige Ökosystem – allesamt von größter ökologischer Wichtigkeit für die ganze Welt – sind durch die Bohrungen bedroht. Doch nicht nur am Madidi Nationalpark sind die Menschen einer gefährlichen Situation ausgesetzt. Auch am Berg Cerro Rico in Potosi müssen Menschen, manche von ihnen sind Kinder im Grundschulalter, unter schwersten Bedingungen arbeiten. Das Interesse liegt dabei am Lithium. Das Ziel der bolivianischen Regierung ist es, zu einem weltweit führenden Lithiumproduzenten zu werden. Mit dem wohlwollenden Wissen, dass viele Industriestaaten verstärkt E- Autos in Zukunft anbieten wollen. Elektromobilität wird häufig als die umweltfreundlichere Variante im Vergleich zu den Verbrennungsmotoren angepriesen. Doch wissen auch die Halter solcher Fahrzeuge, woher die Batterien für die E-Autos herkommen und wie diese hergestellt werden?
Seit ihrer Einführung im Jahr 2019 gehören E-Scooter zum Anblick deutscher Straßen. Nicht nur Sharing-Dienste gewannen in den vergangenen drei Jahren stark an Beliebtheit, auch der Privatkauf von Scootern stieg überproportional an. Schätzungen auf Basis der Statista Mobility Market Outlooks geben an, dass rund 10 Millionen Menschen in Deutschland im Jahr 2022 ein E-Scooter-Sharing-Angebot zur Fortbewegung benutzt haben.
Vernachlässigung:
Zu der Situation am Madidi-Nationalpark gab es kaum Berichte im Internet. Das Einzige, was vorzufinden war zu der Situation, ist ein Bericht von der taz. Ansonsten findet man nur Reise- und Tourismuswerbung zum Madidi-Nationalpark. Dementsprechend hat sich die Recherche zur Bergbausituation und dem Schürfen nach Lithium ausgeweitet. Hierbei gab es viele voneinander einzelne unabhängige Puzzlestücke. Die einzelnen Online-Medien berichteten über verschiedene Dinge, die sich auf die Bergarbeiten in Cerro Rico beziehen. Die Ausschreitungen aus dem Jahr 2016 spielten in den Tagesmedien eine größere Rolle, da auch ein Politiker getötet worden ist.