2023: Top-Thema 03

Mangelhafte Psychotherapieangebote für Menschen mit geistigen Behinderungen

Abstract:

Menschen mit geistigen Behinderungen sind eine der vulnerabelsten Gruppen in unserer Gesellschaft und bedürfen einer besonderen Aufmerksamkeit, da sie ein erhöhtes Risiko haben, eine psychische Erkrankung zu entwickeln. Oft gibt es nur wenige Angebote für die psychische Versorgung von Menschen mit geistigen Behinderungen. Die Herausforderungen bei der Behandlung von psychischen Erkrankungen bei Menschen mit geistigen Behinderungen sind auch aufgrund ihrer kommunikativen Einschränkungen und anderer Faktoren größer. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben diese Situation noch weiter verschärft, da bestehende Kontakte in dieser Zeit eingeschränkt wurden.

Sachverhalt & Richtigkeit: 

In Deutschland herrscht ein Mangel an Psychotherapeut:innen – medial wurde das vielfach aufbereitet. Vergessen wurden dabei jedoch bislang die beträchtlichen Konsequenzen für Menschen mit geistigen Behinderungen. Es gibt verschiedene Quellen, die darauf hinweisen, dass das Risiko für psychische Erkrankungen bei Menschen mit geistigen Behinderungen höher ist als bei Menschen ohne Behinderung. Eine dieser Quellen ist eine Studie aus dem Jahr 2016, die in der Fachzeitschrift „The Lancet Psychiatry“ veröffentlicht wurde. Die Autor:innen der Studie kommen zu dem Schluss, dass Menschen mit geistigen Behinderungen ein bis zu dreifach höheres Risiko haben, psychische Störungen zu entwickeln, als die allgemeine Bevölkerung. Andere Studien und Quellen kommen zu ähnlichen Ergebnissen.

 In Deutschland gibt es nach dem Statistischen Bundesamt zudem mehr als 1,7 Millionen Menschen mit zerebralen Störungen, geistigen und/oder seelischen Behinderungen. Für Menschen mit einer geistigen Behinderung kann es zudem deutlich schwieriger sein, eine psychische Erkrankung festzustellen. Auch können Schwierigkeiten in der Therapie aufkommen, da beispielsweise kommunikative Einschränkungen bei Menschen mit geistigen Behinderungen vorliegen können.

Diese Probleme spiegeln sich in einer besonders starken Unterversorgung von Therapieplätzen für Menschen mit einer geistigen Behinderung wider. Auch ist die Expertise in diesem Bereich vergleichsweise gering. Therapeut:innen sollten spezielle Schulungen und Fortbildungen besuchen, um besser auf die Bedürfnisse von Menschen mit geistigen Behinderungen eingehen zu können. Verpflichtend sind diese Zusatzangebote bisher nämlich noch nicht.

Die langwierigen Prozesse zur Genehmigung einer Psychotherapie durch Krankenkassen sowie das geringe Angebot an Therapieplätzen für Menschen mit geistigen Behinderungen stellen für diese vulnerable Gruppe eine große Herausforderung dar.  Die Corona-Pandemie hat die Nachfrage nach Behandlungsangeboten erhöht, was sich möglicherweise negativ auf die ohnehin begrenzten Therapieplätze für Menschen mit geistiger Behinderung auswirken könnte.

Relevanz:

Die vulnerable Gruppe der Menschen mit geistigen Behinderungen bedarf  einer besonderen Aufmerksamkeit. Eine psychische Erkrankung kann großes Leid mit sich bringen. Da Menschen mit geistigen Behinderungen diesbezüglich einem erhöhten Risiko unterliegen, ist die Relevanz des Themas sehr hoch.  Außerdem gibt es durchaus Länder, die bereits mehr Spezialisierung von Therapeut:innen initiiert haben, wie z. B. Schweden, die Niederlande und Kanada.

Vernachlässigung:

Während der Recherche fiel auf, dass der Fokus der  meisten Artikel auf der Pflege von Menschen mit Behinderungen liegt und nicht auf der Versorgung von psychischen Krankheiten.

Die Corona-Krise scheint hierbei den Fokus noch weiter in die Richtung der Pflegeversorgung gelenkt zu haben. Von der Süddeutschen Zeitung existiert online ein kurzer Bericht aus 2016, der auf die Probleme in Bezug auf die psychotherapeutische Versorgung hinweist. Jedoch reicht dieser Bericht nicht aus, um dieses Thema als nicht mehr vernachlässigt zu betrachten. Es werden aktuellere Einordnungen, auch vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, benötigt.

Die meisten Ergebnisse bei der Suche von Artikeln zur Psychotherapie von Menschen mit geistigen Behinderungen lagen im Bereich von Infoseiten von Selbsthilfeverbänden wie z. B. der Lebenshilfe. Diese besitzen wiederum keine ausreichende mediale Reichweite, um die Abdeckung des Themas so zu gewähren, dass dieses als nicht vernachlässigt eingestuft werden könnte.

Die Themen-Recherche basiert auf einer Online-Recherche und einem geführten Interview.