Keine Macht den Räten? Betriebsrätemodernisierungsgesetz fast unbekannt
Abstract:
In Deutschland arbeiten weniger als die Hälfte der Beschäftigten in einem Betrieb mit Betriebsrat – Tendenz sinkend. Die Änderungen durch das Betriebsrätestärkungsgesetz sollte die längst überfällige Reform des Betriebsverfassungsgesetzes werden und die Gründung sowie die betriebliche Mitbestimmung, in der sich verändernden Arbeitswelt stärken. Aber nicht nur der Name, auch der Inhalt wurde wesentlich eingeschränkt. Am 18.06.2021 trat das Betriebsrätemodernisierungsgesetz in Kraft und stellt im Kontrast zum vorangegangenen Referentenentwurf insgesamt nur eine geringere Weiterentwicklung des Betriebsverfassungsgesetzes dar. Trotz der Wichtigkeit für die Beschäftigten in ganz Deutschland wurde das Thema nur in Fachkreisen erörtert und kommuniziert.
Sachverhalt & Richtigkeit:
Gemäß dem IAB-Betriebspanel sind 41 Prozent der westdeutschen und 36 Prozent der ostdeutschen Beschäftigten in Betrieben mit Betriebsrat tätig. In der Langzeitbetrachtung (1993-2019) nimmt der Anteil der Beschäftigten in einem Betrieb mit Betriebsrat stetig ab (Ellguth, 2020).
Die Gründe liegen vor allem auch in der Schikanierung und Drohung des Arbeitgebers gegenüber den Beschäftigten, die an einer Betriebsratsgründung interessiert sind. Bestätigt wird dies durch Matthias Frank (Name geändert). Als 2014 in seinem Betrieb die Stimmen nach einer Betriebsratsgründung lauter wurden und erste Kandidierende feststanden, ergriff der Arbeitgeber verschiedene Maßnahmen: „Durch unterschwellige Kommentare und gezielte Versprechungen, was Aufstiege der einzelnen Kandidaten angeht, wurde versucht, […] die Beteiligung an der Gründung des Betriebsrates auszureden“, berichtet der Betroffene. Erfolglos in diesem Fall, denn die Belegschaft hielt zusammen.
Dass dies milde Schritte zur Verhinderung von Betriebsratsgründungen sind, bestätigt eine neue Befragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Obwohl die Behinderung der Betriebsratsgründung nach § 119 Abs. 1-3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ein Strafbestand darstellt, griffen 17 Prozent der betroffenen Betriebe zur Kündigung der Kandidierenden.
Die damit einhergehende erhöhte Schutzbedürftigkeit erweitert der Gesetzgeber in Artikel 2 des Betriebsratsmodernisierungsgesetz und erweitert den Kündigungsschutz für Personen, die vorbereitend auf die Betriebsratsgründung agieren. Ausgenommen sind Tatbestände, die aus wichtigem Grund zur fristlosen Kündigung führen. Die in der Antragstellung genannten Personen, die dem Kündigungsschutz unterliegen, werden von drei auf sechs Beschäftigte ausgeweitet. Allerdings ist der Kündigungsschutz auf einen Zeitraum von maximal drei Monaten beschränkt (Betriebsrätemodernisierungsgesetz, 2021).
Im Artikel 1 des Betriebsmodernisierungsgesetz wird der Personenkreis für die aktive Wahlberechtigung ebenfalls erweitert. So ist nicht mehr die Vollendung des 18. Lebensjahres, sondern des 16. Lebensjahres Voraussetzung für die Beteiligung an der Wahl des Betriebsrates. Die damit verbundenen Konsequenzen können weitreichender sein, da ein Betriebsrat ab „fünf ständigen wahlberechtigten Arbeitnehmern“ gegründet werden kann (Vgl. § 1 Abs. 1 BetrVG). Hier ist zu erwarten, dass mehr Betriebe als bisher von einem Betriebsrat profitieren können.
Nicht nur was die Gründung eines Betriebsrats angeht, hat die Gesetzesänderung Konsequenzen. Auch auf den betrieblichen Alltag wirkt sie sich aus: Der bisherige Unfallschutz im Betrieb wird durch §5 (Betriebsrätemodernisierungsgesetz) auf die Tätigkeit im Homeoffice ausgeweitet. Eine Teilnahme oder Durchführung der Präsenzsitzungen des Betriebsrates sind zudem über Tele- und Videokonferenz möglich (§4, Betriebsrätemodernisierungsgesetz, 2021)
Im vorangegangenen Referentenentwurf (21.12.2020) mit dem Namen „Betriebsrätestärkungsgesetz“ vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter Bundesminister Hubertus Heil (SPD) gab es mehrere Punkte, die als progressiver angesehen werden können und die Mitbestimmung im Betrieb weiter ausbauen sollten. Dieser Referentenentwurf wurde von der Union (CDU) ausgebremst, was vom Vorsitzenden Reiner Hoffmann (Deutscher Gewerkschaftsbund) stark kritisiert wurde (DGB, 2021).
Weiterhin bemängelt die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, der Kündigungsschutz sei nicht vollumfänglich und somit nicht als ausreichend zu bewerten. Die Mitbestimmung der Betriebsräte beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und den Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung seien nur auf die konkrete Ausgestaltung beschränkt, nicht aber auf die allgemeine Einführung bezogen. Außerdem würde sie lediglich ein Beratungsrecht darstellen. Dies betrifft insbesondere Beschäftigte, deren Arbeitsplätze wegen des Strukturwandels durch Technologien ersetzt werden könnten. Insgesamt bewertet Ver.di das Betriebsrätemodernisierungsgesetz als „einen ersten kleinen Schritt, um die Stärkung und Modernisierung der Betriebsratsarbeit voranzubringen“ (Ver.di 2021). Diese Kritik wird seitens der IG Metall bekräftigt, die ankündigte, das Thema Mitbestimmung zum Thema im Bundestagswahlkampf zu machen und die Unternehmensmitbestimmung zu erweitern: „Bedeutet: Die Arbeitnehmerseite soll bereits in Unternehmen ab 1000 Beschäftigten die Hälfte der Aufsichtsratsposten besetzen. Bisher gilt das erst bei Unternehmen ab 2000 Beschäftigten“ (IG Metall, 2021).
„Es geht um Macht“, stellt die Juristin Johanna Wenckebach im Wirtschaftspodcast der Hans-Böckler-Stiftung fest. Nicht nur die Namensänderung des Gesetzes und die damit verbundene Einschränkung der im Referentenentwurf vorgesehen Befugnisse der Betriebsräte bemerkt die Juristin. Oftmals würden nur betriebsratsähnliche Interessensvertretungen etabliert, denen aber im Konfliktfall die rechtliche Grundlage fehlt: „Deswegen ist das Betriebsverfassungsgesetz so wichtig […], weil damit einfach sichergestellt wird, dass in der Arbeitswelt, wie wir sie heute haben, Mitbestimmung funktioniert und Demokratie funktioniert.“
Der Betroffene Matthias Frank wünscht sich für seine persönliche weitere Betriebsratsarbeit von Arbeitgeber- und Gesetzgeberseite ebenfalls: „Offene und wertschätzende Zusammenarbeit sowie die Achtung der Mitbestimmung des Betriebsrates“.
Das Gesetz stellt im Vergleich zum Referentenentwurf insgesamt nur eine geringe Verbesserung des Betriebsverfassungsgesetzes dar. Insgesamt erweitert es aber nicht nur den Kreis der wahlberechtigten Beschäftigten und somit die Mindestanforderungen zur Betriebsratsgründung, es bietet dabei auch vermehrten Schutz und ist insbesondere für Beschäftigte interessant, die noch keine Berührungen mit Arbeitnehmerinteressensgruppen haben. Eine Sicherung der Informationsweiterleitung sowie Impulse zur Betriebsratsgründung können hier nur durch die Medien gewährleistet werden. Wie nachfolgend weiter ausgeführt, ist dies unzureichend erfolgt und das Thema der betrieblichen Mitbestimmung vernachlässigt worden.
Relevanz:
Die erste Reform des Betriebsverfassungsgesetzes seit ca. 20 Jahren betrifft alle in Deutschland Beschäftigten. Politische Mitbestimmung am Arbeitsplatz und Arbeitnehmerrechte sind Eckpfeiler einer demokratischen Kultur in der Arbeitswelt. Für die wachsende Herausforderung aufgrund von Strukturwandel und Digitalisierung bietet das Gesetz zumindest teilweise Lösungen, die den Betroffenen noch zugänglich gemacht werden müssen. Für juristische Laien ist die reine Gesetzesreform nur schwer verständlich. Daher bedarf es einer sachlichen und objektiven Berichterstattung seitens der Medien. Am wichtigsten jedoch: Beschäftigte, die in einem Betrieb arbeiten, der die Mindestanforderungen zur Betriebsratsgründung bisher nicht erfüllte, könnten nunmehr eine erneute Prüfung vornehmen. Allerdings ist die Kenntnisnahme und Information über die Gesetzesreform für die Handlung unerlässlich.
Vernachlässigung:
Über die Reform des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes ist ein Verweis auf der Webseite der Tagesschau zu finden. In der dazugehörigen Fernsehsendung wurde nicht über das Thema berichtet. Auch Beiträge der anderen öffentlich-rechtlichen Sender zu diesem Theema sind nicht aufzufinden.
Eine Suchabfrage in der Pressedatenbank „Nexis“ führte zu einem einzelnen Zeitungsartikel einer Tageszeitung (Stuttgarter Zeitung). Daneben berichten auch einige Fachzeitschriften (Google News-Recherche). Es ergeben sich dabei allerdings Schwierigkeiten in der Recherche aufgrund der zuvor erwähnten Namensänderung des Gesetzesentwurfs (Betriebsrätestärkungsgesetz) zum verabschiedeten Betriebsrätemodernisierungsgesetzes. Von den gängigen Politikformaten (z.B. Spiegel, Zeit) fehlen Beiträge. Ein leichter Zugang zu Informationen für die Gesamtbevölkerung Deutschlands ist somit nicht gegeben.
Insgesamt fehlt es an Medienkommunikation in den gängigen Formaten, die einen Großteil der Gesamtbevölkerung erreichen. Gleichzeitig mangelt es an Meinungen der betroffenen Mitglieder in den Betriebsräten sowie von Beschäftigten, die von der Gesetzesänderung profitieren könnten.
Kommentare:
Matthias F., Mitglied des Betriebsrates einer deutschen Fabrik in NRW:
„Allein die Möglichkeit, im Zuge der Digitalisierung und der Verbreitung des Home Office bzw. mobilem Arbeiten, die Betriebsratssitzungen rechtssicher digital abhalten zu können, ist ein echter Zugewinn. Dies unterstützt z.B. auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“