2020: Top 6

Predictive Policing

In einigen Städten Deutschlands arbeitet die Polizei mittlerweile mit Computerprogrammen, die dank Algorithmen voraussagen können, wo und wann ein Verbrechen stattfinden wird. Nun steht die Idee im Raum, eine solche Technologie auch zur Verhinderung von Terrorangriffen zu nutzen. Dabei würde sich das Programm zur Berechnung allerdings nicht mehr nur bloßer Polizeistatistiken bedienen, sondern auch personenbezogener Daten. Damit könnte potentiell jeder Bürger ins Visier der Ermittler geraten, lediglich aufgrund der Datenlage. Auch wenn es zu dem Thema einige Veröffentlichungen gegeben hat, scheint dieses Überwachungsszenario der breiten Bevölkerung ziemlich unbekannt.

Sachverhalt & Richtigkeit:

Verbrechen voraussagen, noch bevor sie geschehen? Was für einige noch nach Science-Fiction klingt, ist für die Polizei in Deutschland bereits zur Normalität geworden. Seit Anfang des Jahres 2019 arbeiten Polizeibehörden im ganzen Land mit Programmen-Softwares, die einem den Blick in eine mögliche Zukunft gewähren, denn was in den Büros der Beamten passiert, ist keine Zauberei, sondern simple Mathematik – Wahrscheinlichkeitsrechnung um genau zu sein. Die Computer der Polizei rechnen nämlich durch Informationen aus Datenbanken und Kriminalstatistiken aus, wo ein Zugriff der Behörden nötig werden könnte. Dabei werden eigens zu diesem Zweck entwickelte Programme wie etwa “SKALA“ genutzt. So lässt sich anhand der Tageszeit, Jahreszeit und Lage einer Wohnsiedlung das dortige Verbrechensrisiko bestimmen. So können die Beamten entscheiden, ob dort vermehrt patrouilliert wird. Algologarithmen bringen Sicherheit – aber auch Datenunsicherheit.

Obwohl diese Art der Verbrechensbekämpfung steckt noch in den Kinderschuhen steckt, so und unterlag sie vor ihrer Verbreitung erst einer langjährigen Probezeit. Im Jahr 2015 startete das Landeskriminalamt NRW das Projekt “SKALA“, welches die Alltagstauglichkeit des gleichnamigen Programms herausfinden sollte. Dabei dienten unter anderem Köln, Düsseldorf und Bonn als Pilotstädte. So wollte man durch Wahrscheinlichkeitsrechnung Verbrechen wie Einbruch entgegenwirken, wobei Bebauung, Einwohnerzahl und Sozialstruktur einer Wohnsiedlung beachtet wurden. Im Hinblick auf die Ergebnisse sollte dann eine stärkere Präsenz der Polizei in den ermittelten Gebieten folgen. Das Projekt schien vielversprechend zu sein, denn schon bald erweiterte man den Radius der teilnehmenden Städte. Laut des Abschlussberichts des Landeskriminalamts NRW konnten andere Polizeibehörden von den Informationen der Pilotstädte profitieren. Vor allem in urbanen Gebieten sah man eine erfolgreiche Anwendung, wo die Einteilung der Bezirke in Strukturen leichter fällt. Ländliche Gegenden schieden vorerst als mögliche Ausübungsorte aus. Im Jahr 2018 erklärte man das Projekt “Skala“ als positiv abgeschlossen, worauf die Software in NRW schnell in den Wirkbetrieb übernommen wurde. So sah man sich durch Befunde, dass in unterschiedlichen Wochen in bestimmten Arealen der Stadt die Wahrscheinlichkeit eines Wohnungseinbruchs teilweise vier- bis fünffach höher ist im Erfolg bestätigt.

Überzeugt sind dennoch nicht alle. Einige Experten zweifeln an der Wirksamkeitskraft von “Predictive Policing“, da es noch keine verlässlichen Ergebnisse gibt, die vergleichbar machen, wie sich die Effektivität von Polizeiarbeit durch die Nutzung von Prognosesoftware auf die Aufklärungsquote auswirkt. Zwar gäbe es einen deutlichen Rückgang der Zahlen von Einbrüchen, jedoch könnten dafür auch andere Faktoren ausschlaggebend sein. Experimentelle Studien, welche möglicherweise etwas Klarheit verschaffen könnten, seien sowohl in der Durchführung als auch aus ethischer Sicht problematisch. Des Weiteren wurde beobachtet, dass Beamte, die in den von den Programmen ausgewählten Gebieten zuständig sind, eine höhere Risikobereitschaft besitzen, was sich auf das Kontrollverhalten der Polizisten auswirkt. So werden etwa Personen bestimmter ethnischer Minderheiten als besonders Verdächtig angesehen, was den Vorwurf des problematischen Racial Profilings nahelegt.

Es dauerte auch nicht lange, bis die Idee aufkam, im Rahmen der Terrorbekämpfung ein solches Verfahren auch auf Einzelpersonen anzusetzen, um der aktuellen Terrorgefahr entgegenzuwirken. Ein Beispiel dafür bildet das momentan in Hessen getestete Programm “Gotham“, welches von einem durch die Snowden-Enthüllungen bekannten US-amerikanischen Unternehmen Palantirr stammt. Kritiker sehen darin vor allem einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen, da “Gotham” anders als bei “SKALA“ mit personenbezogenen Daten arbeitet. Unter anderem gleicht “Gotham” Daten aus sozialen Netzwerken mit Polizeidatenbanken ab. Dadurch geraten auch schnell Personen ins Visier der Polizei, die bisher keine Straftaten begangen haben und nun als “Gefährder” eingestuft werden. Was genau unter einem “Gefährder” zu verstehen ist, unterliegt bislang einem weiten Interpretationsspielraum.Die rechtlichen Bedingungen für einen derartigen Vorfeldeingriff wurden bisher noch nicht klar definiert. Die Gefahr ist hoch, dass immer mehr Unschuldige aufgrund vager Wahrscheinlichkeitsaussagen eines Computers verschärften Meldeauflagen, Kontaktverboten und Überwachungsmaßnahmen wie dem Staatstrojaner ausgesetzt sind. So gibt es Diskussionen, ab wann eine Person ein Sicherheitsrisiko darstellt und welche Hinweise dafür vorhanden sein müssen. Die rechtlichen Grundlagen sind durch die im Lauf der letzten Monate deutlich verschärften Länderpolizeigesetze gegeben. Deswegen warnt die Bürgerrechtsorganisation digitalcourage vor einer verfassungsrechtlich bedenklichen Vermischung von Polizei- und Geheimdienstarbeit sowie davor, dass Palantir durch US-Recht gezwungen ist, bei Bedarf personenbezogene Informationen aus Deutschland an US-Behörden zu übermitteln.

Relevanz:

Betroffen sind praktisch alle, die sich in Deutschland aufhalten, sei es noch bei der bloßen Voraussage von Verbrechen innerhalb des eigenen Wohnorts oder auch bei der baldigen Suche nach möglichen Terrorverdächtigen. Was vor einigen Jahren noch ein Testprojekt war, ist heute fester Bestandteil der Polizeiarbeit. Möglicherweise dürfte das Profil eines Terroristen auf deutlich weniger Deutsche zutreffen, dennoch werden personenbezogene Analysen in der künftigen Ermittlungsarbeit eine wichtige Rolle spielen. Es ist es nicht auszuschließen, dass die zukünftige Verbrechensaufklärung auch in anderen Bereichen personenbezogene Datenanalysen durchführen wird.

Vernachlässigung:

Die Berichterstattung über “Predictive Policing“ verläuft trotz ihrer Aktualität in Deutschland doch eher verhaltenmühselig ab. Zwar haben sich iIm Jahr 2019 haben sich von den bekannten Nachrichtenportalen lediglich der Spiegel, die Welt und der WDR mit dem Thema befasst, aber es. Meist handelte es sich meist dabei doch eher um Berichte aus dem Ausland wie etwa den Vereinigten Staaten. Ein paar Einblicke in die Situation in Deutschland bot das auf Nachrichten aus der digitalen Welt spezialisierte Portal „netzpolitik.org“, welches sich auf Nachrichten aus der digitalen Welt spezialisiert hat. Allerdings ist man auch hier, was die Zahl der veröffentlichten Artikel angeht eher niedrig zurückhaltend.

 

Quellen:

  • – E-Mmailv Verkehr mit Dr. Simon Egbert: Soziologe an der Technischen Universität Berlin -simon.egbert@tu-berlin.de
  • – E-Mmailv Verkehr mit Prof. Dr. Felix Bode: Professor für Kriminologie an der HSPV NRW -felix.bode@hspv.nrw.de

Kommentar:

Dr. Simon Egbert – „Tatsächlich ist es so, dass die Effektivität von Predictive Policing noch nicht

abschließend zu beurteilen ist, da es noch keine validen Ergebnisse gibt, die vergleichbar machen würden, wie sich die Effektivität von Polizeiarbeit durch die Nutzung von polizeilicher Prognosesoftware auf die Fallzahlen, z.B. im Deliktsfeld Wohnungseinbruchdiebstahl, auswirkt.“

Prof. Dr. Felix Bode – „Die Schwierigkeit und Herausforderung besteht allerdings darin, wie man mit solchen Angaben und Wahrscheinlichkeitsberechnungen als Polizeiorganisation umgeht (operativ tätig wird), insb. mit Blick auf die Frage der Effektivität.“