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Private Sicherheitsdienste als Polizeiersatz

Private Sicherheitsleute sind heute in Deutschland ein alltäglicher Anblick. Das liegt an ihrer hohen Zahl: Bald gibt es genauso viele private Sicherheitsleute, wie es Polizeibeamte in Deutschland gibt. Und sie übernehmen hoheitliche Aufgaben, oft sogar im Auftrag der öffentlichen Hand. Doch die gesetzlichen Rahmenbedingungen, unter denen diese Wachleute agieren, ist unklar und müsste novelliert werden. So ist zum einen die gesetzliche Legitimation der zur Arbeit notwendigen Grundrechtseingriffe fraglich, zum anderen wird die Eignung der einzelnen Mitarbeiter oft nur oberflächlich geprüft, und das bei einem Beruf mit hohem Konfliktpotential. Diese Umstände werden in der Öffentlichkeit viel zu wenig diskutiert.

 

Sachverhalt & Richtigkeit:

Private Sicherheitsdienste gehören schon längst keiner Nischen-Branche mehr an. So waren 2017 laut dem Bundesverband der Sicherheitswirtschaft in Deutschland etwa 270.000 Mitarbeiter für Sicherheitsunternehmen tätig, was in etwa der Zahl an Polizeibeamten in Deutschland entspricht. Um ihrer Arbeit nachgehen zu können, müssen Sicherheitsleute oft in die Grundrechte Dritter eingreifen. Dabei besitzen sie keine Sonderrechte, sondern lediglich das übertragene Hausrecht und die sogenannten Jedermann-Rechte. Zu diesen Rechten gehört unter anderem die Notwehr (gem. § 227 BGB; § 32 StGB), der Notstand (gem. §§ 228, 904 BGB; § 34 StGB) und die Selbsthilfe (gem. §§ 229, 858, 859, 860 BGB).

Diese Rechte waren vom Gesetzgeber jedoch als Ausnahmeregelungen für einzelne Personen gedacht. Die Mitarbeiter von privaten Sicherheitsdiensten geraten aber aufgrund ihrer Tätigkeit alltäglich in derartige Situationen und machen demnach routinemäßig von diesen Rechten Gebrauch. Das Problem dabei ist, dass zum Beispiel bei der Notwehr, aufgrund der unvorhersehbaren Natur eines Angriffes, von dem Verteidiger nicht verlangt werden kann, die Angemessenheit seines Abwehrmittels abzuwägen. Der Verteidigungsakt muss lediglich geeignet und erforderlich sein, um den Angriff abzuwenden.

Wenn der Staat hingegen in die Grundrechte eines Bürgers eingreift, gilt ein weiteres Kriterium: die Angemessenheit bzw. Verhältnismäßigkeit. Diese Verhältnismäßigkeit fordert eine Abwägung zwischen dem durch den Eingriff verletzten Rechtsgut und der Bedeutung der Grundrechte. Solch eine Abwägung verlangt der Gesetzgeber beim Einsatz der Jedermann-Rechte dagegen nicht. Man könnte also behaupten, dass eine bestimmte Diskrepanz zwischen staatlichem und privatem Handeln herrscht: Bei gleichem Sachverhalt könnten die Befugnisse der privaten Sicherheitsdienste folglich weit über die der Polizei hinausgehen. Letztendlich sollte jedoch der Staat Garant für die Herstellung öffentlicher Sicherheit sein und die Grenzen für andere eher enger ziehen. Laut Prof. Dr. Ulrich Sommer, Professor für Strafrecht an der Universität Köln und praktizierender Strafverteidiger, sollte der Staat in erster Linie Gelder verwenden, um die Polizei zu verstärken und bei ausgedehnter Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor sorgfältig die einzelnen möglichen Schnittstellen herausarbeiten.

Außerdem sind die gesetzlichen Regelungen rund um das Gewerbe hinsichtlich der Branchengröße auffällig oberflächlich. Das Gewerbe beruft sich hauptsächlich auf § 34a der Gewerbeordnung. Laut dieser benötigt man zur Ausübung des Berufes eine Unterrichtung, bzw. um sämtliche Tätigkeiten ausüben zu können, eine Sachkundeprüfung. Die Unterrichtung besteht aus einem 40-stündigem Unterricht ohne Prüfung, also einer Woche, wodurch man allein durch die Teilnahme bereits einfache Bewachungsaufgaben übernehmen darf. Alles, was darüber hinausgeht, setzt eine Sachkundeprüfung voraus. Die erst seit 2016 existierende Prüfung wird bei der Handelskammer abgelegt und besteht aus einem schriftlichen und einem mündlichen Test, bei denen mindestens die Hälfte der Punkte zum Bestehen erreicht werden müssen. Nach den Erfahrungen von Herrn Kunkel, ehemaliger Geschäftsführer von BSS Sicherheitsdienste, schaffen es bereits 40% der Leute nicht, diese Prüfungen zu bestehen. Dabei sollen die Prüfungen absichtlich nicht allzu schwer sein, um einen niedrigschwelligen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Nach Bestehen der Prüfung ist es einem zudem möglich, sich als Unternehmer in dem Gewerbe selbstständig zu machen. Fraglich ist, ob solch eine kurze Ausbildung überhaupt ausreichend auf den Beruf vorbereiten kann. Eine abgeschlossene Sachkundeprüfung wird auch für heiklere Aufgaben vorausgesetzt, wie z.B. der Bewachung eines Flüchtlingsheims. Neben der Einsicht in das polizeiliche Führungszeugnis und der Sachkundeprüfung finden keine Überprüfungen zur Eignung statt. Vor allem bei der Bewachung von Flüchtlingsunterkünften wäre zum Beispiel eine Überprüfung von potentiell verfassungsfeindlichen Einstellungen womöglich sinnvoll. In der Vergangenheit gab es bereits vermehrt Gewaltvorwürfe gegen Sicherheitsdienste in Flüchtlingsunterkünften.

Dazu kommt, dass bei der Vergabe von manchen Aufträgen der günstigste Preis eine größere Rolle spielt als die Qualität der letztendlich erbrachten Arbeit, auch und besonders bei Aufträgen aus staatlicher Hand.Viele Unternehmen werden infolgedessen ermutigt, Arbeitskräfte einzustellen, die für einen geringen Lohn arbeiten, jedoch aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit oder ihres Charakters möglicherweise gar nicht für solche Tätigkeiten geeignet sind.
Auch eine in Essen ansässige größere Sicherheitsfirma fordert daher vom Gesetzgeber eine Ausweitung der Sachkundeprüfung auf die gesamte Belegschaft eines Unternehmens sowie eine regelmäßige Qualitätsüberprüfung. Zudem sollten für die Bewachung von sensibler Infrastruktur höhere Qualifikationsanforderungen gelten.

Viele größere Sicherheitsunternehmen sehen in den „schwarzen Schafen“ ein ernstzunehmendes Problem für die gesamte Branche. Immer mehr Mitarbeiter werden gesucht, doch der niedrige Lohn und die im Vergleich hohen Kosten einer Sachkundeprüfung bei der IHK (850 €) wirken dabei abschreckend.

Der Gesetzgeber hat im Koalitionsvertrag ein neues Gesetz zur genaueren Regelung der privaten Sicherheitsdienste versprochen, umgesetzt wurde von diesem Versprechen jedoch bisher noch nichts.

 

Relevanz:

Die Zahl der Beschäftigten von privaten Sicherheitsdienstleistern entspricht fast der Gesamtzahl der Polizeibeamten in Deutschland. Das Sicherheitsgefühl der Öffentlichkeit wird längst nicht mehr allein durch die Polizei geprägt. Auch wichtige sensible Infrastruktur, wie Atomkraftwerke, unterliegen der Bewachung durch private Dienstleister. Umso wichtiger ist eine weitgehende gesetzliche Kontrolle der Branche, und die lässt vieler Meinungen nach zu wünschen übrig.

 

Vernachlässigung:

Private Sicherheitsdienste sind kein gänzlich unberührtes Thema in den Medien. Niedriglöhne wurden über die Jahre öfter angeprangert und über die Probleme in manchen Flüchtlingsunterkünften wurde ebenfalls berichtet. Was in der Berichterstattung jedoch häufig untergegangen ist, sind die oberflächlichen Prüfungen und die gesetzliche Legitimation bei Grundrechtseingriffen. Lediglich zur Einführung der Sachkundeprüfung gab es vermehrt Reaktionen aus den Medien, inklusive Kritik. Seitdem war es aber ziemlich ruhig um das Thema.
Mehr Medienpräsenz sollte eigentlich zu erwarten sein, vor allem vor dem Hintergrund, dass im Koalitionsvertrag Besserung versprochen wurde und die Arbeit der Sicherheitsdienste durch Aufträge von Flüchtlingsheimen und anderen öffentlichen Einrichtungen stets relevant geblieben ist.
Einen passenden Artikel zu dem Thema findet man hingegen bei Deutschlandfunk Kultur aus dem Jahr 2016: https://www.deutschlandfunkkultur.de/sicherheitsrisiko-private-wachdienste-wenn-polizeiarbeit.976.de.html?dram:article_id=360472

 

Quellen:

Prof. Dr. Ulrich Sommer, Professor für Strafrecht und praktizierender Strafverteidiger, 08.07.2019, Gespräch

 

Michael Kunkel, ehemaliger Geschäftsführer von BSS Sicherheitsdienste GmbH, 08.07.2019, Gespräch

 

Björn de Riese-Meyer, „Kooperationsmöglichkeiten zwischen privaten Sicherheitsunternehmen und staatlichen Sicherheits- und Ordnungsbehörden“, 14.06.2019, Bachelor-Arbeit und Gespräch
Carsten Gronwald (Pressesprecher von Kötter Security), „Eigenes Gesetz für die Sicherheitswirtschaft“, Sicherheitsbrief (herausgegeben von der Öffentlichkeitsarbeit der Kötter GmbH & Co. KG), 05.07.2019

 

Bundesverband der Sicherheitswirtschaft:

https://www.bdsw.de/presse/bdsw-pressemitteilungen/immer-oefter-sicherheitsdienste-im-einsatz, Anzahl an Arbeitnehmern von Sicherheitsdienstleistungsunternehemen, 11.07.2019

 

Welt:

https://www.welt.de/politik/deutschland/article170625072/Zahl-der-Polizisten-erreicht-neuen-Hoechststand.html, Anzahl an Polizeibeamten in Deutschland, 11.07.2019

 

Zum Thema Sicherheitsdienste in Flüchtlingsheimen:

Spiegel-Online:

https://www.spiegel.de/plus/wenn-du-meinen-freund-noch-einmal-anfasst-toete-ich-dich-a-774532d2-5a14-4f29-a1a7-6f03d60fbd96

Bayerischer Rundfunk:

https://www.br.de/nachrichten/bayern/gewalt-vorwuerfe-gegen-sicherheitsdienst-im-ankerzentrum-bamberg,RPnJPIS

Welt:

https://www.welt.de/vermischtes/article190024289/Bad-Berleburg-Fluechtlingsunterkunft-wegen-Sicherheitsdienst-geraeumt.html

Deutschlandfunk:

https://www.deutschlandfunkkultur.de/sicherheitsrisiko-private-wachdienste-wenn-polizeiarbeit.976.de.html?dram:article_id=360472

 

Kommentar:
Für eine Zusammenarbeit [zwischen der Polizei und Sicherheitsdiensten] müssen zuerst die richtigen Schnittstellen gefunden werden.“ Prof. Dr. Ulrich Sommer

 

Die Arbeit muss attraktiver gemacht werden. Es gibt einfach zu wenig Leute.“ Michael Kunkel

 

Im Grunde lernt man alles Wichtige erst in der Praxis und nicht in der Prüfung.“ Michael Kunkel