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Stiftungs(un)wesen – Almosen statt Sozialpolitik?

Die Zahl der Stifter in Deutschland steigt immer weiter, doch ob der Nutzen für die Gesellschaft so enorm ist, dass eine stetig wachsende Masse angeblich wohltätiger Stifter gerechtfertigt ist, wird in Gesellschaft und Politik weder ausreichend belegt noch öffentlich diskutiert. Wohltätigkeit allein steht bei vielen Stiftern nicht im Vordergrund. Es sind vielmehr die Möglichkeiten, auf Bildung, Wissenschaft, Kultur, Medizin, Politik und Soziales Einfluss zu nehmen, subventioniert vom Steuerzahler,  die den Stiftern zu Gute kommen. Auch dienen gemeinnützige Stiftungen dazu, den Fortbestand von Unternehmen zu sichern oder PR zugunsten von Unternehmen zu machen.

 

Sachverhalt & Richtigkeit:

Stiftungen sind ein elementares Standbein der deutschen Gesellschaft. Ohne sie würden viele sozial-gesellschaftliche Projekte nicht existieren. Allein seit der Jahrtausendwende, dem Jahr, in dem der Bundestag die Senkung der Körperschaftssteuer zugunsten von Großunternehmen und gleichzeitig Vorteile für Stifter und deren Stiftungen verabschiedete, stieg die Anzahl der Stiftungen in Deutschland um 180 Prozent (von 8.000 auf derzeit 22.743).  Die Steuerentlastung für die Stifter ist groß, und die Stifter alleine entscheiden, wann und wem sie „helfen“.

„Stiftungen stellen keine unsichtbare Macht dar, sie präsentieren  sich selbst aber als unverzichtbar und wohltätig und  Negativmeldungen gelangen kaum an die Öffentlichkeit. Stattdessen präsentieren die Medien gerne einzelne Stiftungsprojekte als positiv und nachahmenswert“, “, erklärt Wirtschaftsjournalist Matthias Holland-Letz, der ein Buch zum Thema veröffentlicht hat.

In vergangenen Jahrzehnten, als Erbschaften noch hoch besteuert wurden, nutzten Unternehmer gerne das Stiftungsrecht, um die Erbschaftssteuer zu umgehen. Sie übertrugen ihre Firma – oder zumindest große Teile – auf eine gemeinnützige Stiftung. Gleichzeitig sorgten sie oft dafür, dass die Erben weiterhin Kontrolle über das Unternehmen ausüben können. Prominentes Beispiel ist die 1977 gegründete Bertelsmann-Stiftung. Auch der Bosch-Konzern, der Automobilzulieferer Mahle (Stuttgart), der Mischkonzern Possehl (Lübeck) oder der Maschinenbauer Körber (Hamburg) befinden sich ganz oder in weiten Teilen im Besitz einer gemeinnützigen Stiftung. Diese Konstruktion sorge auch dafür, dass feindliche Übernahmen oder Erbstreitigkeiten ausgeschlossen sind, argumentieren die Stifter.  Von den damit verbundenen enormen Steuerersparnissen zugunsten Wohlhabender ist weniger die Rede.

Gemeinnützige Stiftungen werden vom Steuerzahler auf vielfältige Weise gefördert. So darf ein Stifter bis zu einer Million Euro, die er in eine Stiftung investiert, auf 10 Jahre verteilt steuerlich geltend machen – und spart somit, sofern er den Spitzensteuersatz zahlen muss, rund 500.000 Euro an Steuern. Ehepaare dürfen bis zu zwei Millionen Euro steuersenkend in eine Stiftung stecken. Zusätzlich darf der Stifter Spenden an die Stiftung steuerlich geltend machen. Erträge aus dem Stiftungsvermögen, z.B. Dividenden aus Aktien oder Mieteinnahmen aus Immobilien, sind steuerfrei. Ein weiteres, in der Öffentlichkeit völlig unbekanntes Privileg ist, dass laut Gesetz bis zu einem Drittel der Erträge einer gemeinnützigen Stiftung (z.B. Dividenden) pro Jahr an den Stifter und seine Angehörigen gehen darf. Vor allem große Stiftungen wie die Bertelsmann-Stiftung nehmen großen gesellschaftlichen und politischen Einfluss durch eigene Studien oder Kongresse, bei denen die Stiftung selbst die Themen vorgibt und so die Diskursentwicklung steuert.

Stiftungen sind demnach auch ein Instrument, um die öffentliche Debatte zu beeinflussen. Damit gewinnen jene an Einfluss, die ohnehin über große gesellschaftliche Macht verfügen. Doch was müsste in unserem System geändert werden, um diese Missstände zumindest einzudämmen? Erster Schritt:
„Es muss Transparenz geschaffen werden“, sagt Holland-Letz. „Stiftungen sind derzeit nicht verpflichtet, ihre Zahlen der Gesellschaft öffentlich zu machen. Woher das Geld kommt, wer alles in den Stiftungsgremien sitzt und was mit dem Geld gemacht wird, bleibt bei vielen Stiftungen geheim. Es müssten öffentliche Diskussionen zu diesem Thema angestoßen werden, um die Stiftungslandschaft für jene, die keine mächtige Position bekleiden, transparent zu machen.“

Dass der Gesetzgeber dieses Stiftungsmodell so deutlich bevorzugt, könnte auch mit einer gewissen Mesalliance zwischen Stiftern und Politik zu tun haben. Das legt jedenfalls Buchautor Holland-Letz nahe: „Alle im Bundestag vertretenen Parteien, mit Ausnahme der Links-Partei, verhalten sich ausgesprochen stiftungsfreundlich.“ .

Auf die Frage, ob das Stiftungssystem eingedämmt oder sogar aufgelöst werden kann l, ohne die sozial-gesellschaftlichen Vorteile zu verlieren, antwortet Herr Holland-Letz: „Stiftungen im sozialen Bereich tun ja auch Gutes, aber Bedürftige haben eben keinen rechtlichen Anspruch darauf. Sie sind immer auf die Mildtätigkeit der ‚Reichen‘ angewiesen. Erst durch die Zustimmungen von Vorständen und Gremien entscheidet sich, ob geholfen wird. Die gesellschaftliche Ungleichheit ist seit der Jahrtausendwende gewachsen, es gibt immer mehr Reiche, und das Stiftungswesen hilft, diesen Umstand zu verschleiern und für  Akzeptanz zu sorgen.  Wenn die Bundesregierung den Sozialstaat weiterentwickeln würde, wären Stiftungen in diesem Ausmaß nicht mehr notwendig. Die Frage ist deshalb, wie die Diskussion um Neoliberalismus und Armut in Deutschland ausgeht und welche Kräfte in der Politik die Oberhand behalten.“

In der anhaltenden Niedrigzins-Phase, unter der vor allem kleine Stiftungen ohne Immobilien und Unternehmensbeteiligungen leiden, stellen sich weitere Fragen: Wenn laut Bundesverband Deutscher Stiftungen 39,1 Prozent aller Stiftungen erklären, dass der aktuelle Ertrag aus ihren Vermögen nicht einmal die Inflationsrate ausgleichen wird – wie sinnvoll sind dann Investitionen in Stiftungen? Ist das Stiftungsvermögen, das nicht angetastet werden darf, etwa volkswirtschaftlich gesehen verschwendet? Welche Gesetzesänderungen sind nötig, damit Stiftungen ihr Vermögen aufbrauchen dürfen, um ihre Stiftungszwecke zu erfüllen? Damit viele Milliarden Euro an Stiftungsvermögen zurück in den Wirtschaftskreislauf fließen können? Auch diese Fragen gilt es in der Öffentlichkeit zu diskutieren.

Nun muss jedoch auch die Gegenseite beleuchtet werden. Karen Zimmer ist ehrenamtlicher Vorstand  der (im Jahr 2001 gegründeten) Cornelius-Stiftung in Köln, einer, neben der Gold-Kraemer-Stiftung  oder der Kämpgen-Stiftung, vergleichsweise kleinen Kölner Stiftung, die sich hauptsächlich mit Kindern aus Familien mit suchtkranken Eltern beschäftigt. Ohne die Erträge aus dem Stiftungsvermögen und Spenden an die Stiftung wäre ein solches Engagement nicht möglich.

Doch auch gemeinnützige Vereine fördern die Gemeinschaft und tragen stark zur Förderung des sozialen Umfelds bei. Im Gegensatz zu den Stiftungen wird ein Verein häufig von Freiwilligen und Ehrenamtlern gegründet und betrieben. Gemeinnützige Vereine genießen zudem weit weniger Steuerprivilegien als gemeinnützige Stiftungen.

Relevanz:

Die Stiftungslandschaft in Deutschland ist sehr intransparent. Hinter Stiftungen steht meistens eine große Summe Eigenkapital von wohlhabenden Privatpersonen. Daraus ergibt sich die Frage, ob der soziale Mehrwert durch das Stiftungswesen so hoch ist, dass die steuerlichen Vorteile für die Stifter  und die stetig wachsende Stiftungslandschaft gerechtfertigt und sinnvoll sind. Betroffen ist die gesamte Bevölkerung in Deutschland, denn das Stiftungswesen ist stark präsent in vielen gesellschaftlichen, sozialen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereichen.

 

Vernachlässigung:

Negativpresse ist deutlich schwerer aufzufinden als positive Berichte. Neben der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, die den kritischen „Privatisierungsreport“ veröffentlichte, lässt sich über die Nachteile des Stiftungswesens in Deutschland kaum etwas finden. Das Buch „Scheinheilige Stifter“ von Matthias Holland-Letz beleuchtet die Kehrseite des Systems genauer. Andere Sachbücher wie „Stiftungen in der Praxis“ bieten zwar eine Vielzahl von sachlichen Allgemeininformationen, sind jedoch weniger kritisch.

Einen der seltenen kritischen Berichte veröffentlichte beispielsweise Der Spiegel im Jahr 2017, in dem die Stiftung des deutschen Sängers  Peter Maffay als „fragwürdige Stiftung“ bezeichnet wurde. Viel eher liest man euphemistische Formulierungen wie: „Wir helfen Leben retten“ (Björn-Steiger-Stiftung) oder „Mit Vermögen gestalten“ (Bundesverband Deutscher Stiftungen). Insgesamt müsste sehr viel mehr über alle, auch die gesellschaftlich wenig vorteilhaften Seiten des Stiftungswesens berichtet werden.
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Quellen:

  • Onlinerecherche:
    1. Ausschnitt aus dem „Privatisierungsreport 13“
    Internetadresse: https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/neuigkeiten/privatisierungsreport-13-private-stiftungen-versus-demokratischer-staat/
    Autor: Matthias Holland-Letz
  1. Homepage der Cornelius-Stiftung
    Internetadresse: https://www.cornelius-stiftung.de/
  • Literatur: „Scheinheilige Stifter“ von Matthias Holland-Letz
  • Ausschnitt aus: „Stiftungen in der Praxis“
    4. Auflage, Autoren: Klaus Wigand, Cordula Haase, Theobald, Markus Heuel und Stefan Stolte
  • Telefonat mit Karen Zimmer, ehrenamtlicher Vorstand der Cornelius Stiftung
  • Telefonat mit Matthias Holland-Letz, Journalist und Diplom-Volkswirt

 

 

 

Kommentar:
Es muss mehr Transparenz geschaffen werden. Stiftungen in sozialen Bereichen leisten Gutes, jedoch haben Bedürftige keinen rechtlichen Anspruch auf diese Hilfe, sondern sind auf die Mildtätigkeit der Reichen angewiesen – wie im 19. Jahrhundert.“

(Matthias Holland-Letz, Autor von: „Scheinheilige Stifter“)


„Eine Stiftung darf nur gegründet werden, wenn sie einen Zweck für die Allgemeinheit erfüllt. Die Spenden, die bei uns eingehen, werden vollständig, also zu 100% für den Stiftungszweck ausgegeben.“

(Karen Zimmer, ehrenamtlicher Vorstand der Cornelius-Stiftung)