2019: Top 2

Kriminalitätsbekämpfung in der Europäischen Union mithilfe des Fluggastdatengesetzes 

Grenzenloses Europa ohne Kontrollen? Nicht im Luftverkehr. Im Sommer 2017 hat die Bundesregierung das „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2016/681“ beschlossen. Die Richtlinie des EU-Parlamentes und Rates vom Frühjahr 2016 regelt die Sammlung und Verarbeitung von Fluggastdaten (so genannter PNR-Daten) durch Luftfahrtunternehmen. Eigentliches Ziel der Datensammlung ist der europaweite Austausch zur Verhütung von Straftaten und Kriminalität. Datenschützer bemängeln allerdings die anlasslose, mehrjährige Vorratsdatenhaltung. Über das Ausmaß der EU-Richtlinie und ihrer Folgen für den Datenschutz berichteten bislang nur wenige Medien.

 

Sachverhalt & Richtigkeit:

Terror- und Kriminalitätsbekämpfung gehören zu den primären Aufgaben von Behörden. Auf EU-Ebene gibt es nunmehr eine neue Maßnahme: Die 2016 verabschiedete „Richtlinie (EU) 2016/681“ des Europäischen Parlamentes und des Rates erlaubt Luftfahrtunternehmen, Fluggastdaten (Passenger Name Record – PNR-Daten) zu sammeln. Anschließend dürfen diese Daten in nationalen PNR-Zentralstellen hinterlegt und anhand von Mustern ausgewertet werden. Die Richtlinie wurde in allen 28 Mitgliedsstaaten der EU bis Mitte 2018 umgesetzt. Das Europäischen Parlament will mit der Richtlinie EU-weite Kriminalität bekämpfen. Der europaweite Austausch von Fluggastdaten steht im Vordergrund.

In Deutschland wurde das „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2016/681“ bereits im Sommer 2017 beschlossen. Das so genannte Fluggastdatengesetz verpflichtet alle Luftfahrtunternehmen, die Fluggastdaten bei einer Flugbuchung zu speichern. Eine Verweigerung seitens des Luftfahrtunternehmens oder des Fluggastes ist nicht möglich. Die erhobenen Daten umfassen dabei nicht nur private Informationen wie Zahlungsinformationen, Angaben über den konkreten Reiseverlauf, den Reisestatus und jegliche Änderung der getätigten Buchung durch den Fluggast. Die Datenerhebung betrifft auch alle Flüge, die in Deutschland starten und in einem anderen Staat landen oder in einem anderen Staat starten und in Deutschland landen bzw. zwischenlanden. Innerdeutsche Flüge sind ausgenommen. Die erste Datenerhebung erfolgt 48 Stunden vor Antritt des planmäßigen Fluges. In den nächsten 24 Stunden werden die Daten mehrfach geprüft und nach Ende des Boarding abgeschlossen. Die Datensätze werden anschließend elektronisch an ein Fluggastdaten-Informationssystem übermittelt. Dieses System wird vom Bundeskriminalamt als „nationale Fluggastdatenzentralstelle“ geführt. Barbara Hübner, von der Pressestelle des BKA, hat den Fakt gegenüber der INA bestätigt. Die Annahme und Verarbeitung übernimmt das Bundesverwaltungsamt, das vom BKA in Auftrag gegeben wurde.

Das Fluggastdaten-Informationssystem dient als Datenbank, in der die Fluggastdaten gespeichert und anschließend mit anderen Datenbanken sowie Mustern abgeglichen werden. Diese Muster werden halbjährlich von den Behörden geprüft und eigens von dem Datenschutzbeauftragten der Fluggastdatenzentralstelle erstellt. Sie stellen Prüfungsmerkmale dar, um polizeilich gesuchte Personen zu identifizieren oder Hinweise darauf zu geben, dass polizeiliches Handeln notwendig ist. Bei einem Treffer in der Datenbank werden die Fluggastdaten an die Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes weitergeleitet. Sie sind anschließend für weitere Überprüfungen oder die Veranlassung geeigneter Maßnahmen zuständig. Die Ergebnisse können zusätzlich an die anderen nationalen Fluggastdatenzentralstellen der EU-Mitgliedsländer übermittelt werden, wenn sie der Verhinderung von Straftaten dienen. Im deutschen Fluggastdaten-Informationssystem werden die Daten fünf Jahre gespeichert. Schon vorher, nämlich nach sechs Monaten, werden nach Angaben des Bundeskriminalamtes diejenigen Datenelemente gelöscht, die eine Identifizierung des einzelnen Fluggastes ermöglichen. Als Kontrollstelle für Datenbelange auf Bundesebene wurde der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) ernannt. Die Sprecherin des BfDI, Gnedler, sieht das BfDI als unabhängigen Mittler zwischen Fluggast und Behörde. Seit Sommer 2018 ist die PNR-Zentralstelle in Deutschland aktiv, sagt Barbara Hübner, von der Pressestelle des BKA. Seitdem würden die Luftfahrtunternehmen sukzessiv an die Fluggastdatenzentralstelle angebunden werden. Aktuell wären bereits drei große Luftfahrtunternehmen „im System hinterlegt“. Zur Wirkung des neuen Instrumentes in Deutschland konnte sie noch keine Aussagen machen.

Trotz dieser berichteten Ergebnisse bleiben Zweifel. Laut Iris Gnedler (BfDI) wird insbesondere die hohe Datenmenge als brisant eingestuft. „Fast alle Informationen in den Fluggastdatenbanken der Mitgliedsstaaten beziehen sich auf Personen, die einfach nur reisen“. Die anlasslose, mehrjährige Vorratsdatenhaltung sei es aber, die Datenschützer bemängelten, so Gnedler. Besonders wichtig sei daher die Entwicklung präziser Muster. Die konkrete Umsetzung und Ausgestaltung in der Praxis gestalten sich schwierig. Dazu Gnedler: „Die Grundidee der Musterabgleiche ist aus Sicht der Sicherheitsbehörden nachvollziehbar. Es bleibt abzuwarten, ob treffsichere Muster gefunden werden, die eine geringe Personenzahl betreffen und belasten“.

Hinzu komme die unterschiedliche Datenqualität, mit der die Datensätze im Fluggastdaten-Informationssystem landen. Grund dafür seien die technischen Standards der Luftfahrtunternehmen, die nicht mit denen der Behörden übereinstimmen. Die Folge seien fehlerhafte Datensätze.

Als weiterer Kritikpunkt wurde die Entscheidung der EU-Mitgliedsstaaten für die Überprüfung von Flügen in der EU genannt. Anfangs habe die Richtlinie (EU) 2016/681 nur die Überprüfung von Flügen in den Schengen-Raum vorgesehen, doch die Regierungen entschieden sich übereinstimmend für die Ausweitung. „Ist es nicht eine indirekte Form von Grenzkontrolle im Binnenraum, wenn Flüge innerhalb der EU durch die Fluggastdatenzentralstellen erfasst und überprüft werden?“, merkt Gnedler an. Denn bisher habe die Mitgliedschaft eines Staates in der EU jegliche Grenzkontrollen verhindert. Abschließend sei seitens des Parlamentes und des Rates zu hinterfragen, ob die Anzahl der Instrumente gegen Kriminalität noch im Verhältnis stehen würden. „Es bestehen zahlreiche Überschneidungen zwischen den verschiedenen Fluggastdatenbanken und den bereits beschlossenen neuen Grenzmanagement-Datenbanken. Dieselben Reisenden werden aus Anlass der gleichen Reise mehrfach in unterschiedlichen Datentöpfen erfasst. Mit Datensparsamkeit hat das wenig zu tun“, berichtet Gnedler. „Wer viel reist, muss sich darauf einstellen, dass er in der EU vermehrt gespeichert wird“.

Ähnlich kritisch äußerte sich Guido Kirchner zu der Effizienz der EU-Richtlinie. Der IT-Berater von Capgemini arbeitet am Aufbau des Fluggastdaten-Informationssystems. „Es gibt rund 120 deutsche Luftfahrtunternehmen. Deren gesamte Fluggastdaten müssen bearbeitet werden. Das ist eine riesige Datenmenge mit Informationen über einen Großteil der Bevölkerung“, sagte Kirchner im Gespräch. Eine mögliche hintergründige Motivation für die Richtlinie 2016/681 sieht er im Konkurrenzkampf mit der USA, wo die Sammlung der Fluggastdaten schon seit längerer Zeit zum Alltag gehört. „Tatsächlich ist es sehr wahrscheinlich, dass die deutsche PNR-Datenbank die größte weltweit wird“. Gründe dafür sind die vielen Außengrenzen Deutschlands zu Nachbarländern und der hohen Reisebedarf, die eine Vielzahl an Daten mit sich bringen würde. Amerika würde sich bereits von Deutschland abschauen, wie die nationalen Behörden mit der Datenflut umgehen würden. Zwar unterstütze er den Aspekt der europäischen Sicherheit, dennoch sei die Art der Datensammlung und die lange Speicherdauer von fünf Jahren unverständlich. „Man wird (…) gläsern“.

 

Relevanz:

227,1 Mio. Passagiere zählten die deutschen Flughäfen im Zeitraum von Januar bis November 2018. Zusätzlich wuchs der Europaverkehr um rund fünf Prozentpunkte. An jedem Flughafen werden die Fluggastdatensätze rund um die Uhr gespeichert und in nationalen PNR-Zentralstellen verarbeitet. Für Reisende ist es nicht mehr möglich, sich innerhalb der EU der Datenspeicherung zu entziehen. Somit entstehen – vom EU-Parlament gebilligte – individualisierte Bewerbungsprofile der Flugreisenden.

 

Vernachlässigung:

Während der Ausarbeitung und Einigung des Europäischen Parlamentes und des Rates auf die Richtlinie 2016/681 konnten keine Publikationen in den Medien festgestellt werden. Erst im Jahr 2018 stellten die Online-Portale von Fokus und Deutschlandfunk Kultur erstmals Öffentlichkeit her. Das Magazin Focus veröffentlichte am 19. Mai 2018 auf seiner Internetseite einen Bericht zum Fluggastdatengesetz mit der Überschrift „Sonst droht Strafe: Welche Daten Airlines von Passagieren speichern müssen“. Der Bericht wurde unter der Rubrik Reisen – Fliegen publiziert. Drei Monate später folgte Deutschlandfunk Kultur mit einer Podcast-Folge und einem Online-Bericht unter der Überschrift „Permanente Rasterfandung“. Der Podcast ist auf den 25.08.2018 datiert und umfasst ein Gespräch von Peter Schaar mit Vera Linß.

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Quellen:

  • Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV), „ADV-Montasstatistik 11/2018“, 19.12.2018, https://www.adv.aero/wp-content/uploads/2015/11/11.2018-ADV-Monatsstatistik.pdf, Auswertung einer Statistik über die Zahl der Passagiere und Flugbewegungen an deutschen Flughäfen für den Monat November 2018.
  • Bundeskriminalamt, „Fragen und Antworten zur Fluggastdatenspeicherung“, https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Aufgabenbereiche/Zentralstellen/Fluggastdatenspeicherung/FAQ/faq_node.html & „Europäische Richtlinie 2016/681 über die Verwendung von Fluggastdatensätzen“,

https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Aufgabenbereiche/Zentralstellen/Fluggastdatenspeicherung/RelevanteDokumente/EURichtlinie/EURichtlinie_node.html, Erklärung der Europäischen Richtlinie und ihrer Zusammenhänge.

  • Matthias Monroy, „EU-Staaten zeigen wenig Interesse an Fluggastdatenspeicherung“, 07.09.2018, https://netzpolitik.org/2018/eu-staaten-zeigen-wenig-interesse-an-fluggastdatenspeicherung/, EU-Richtlinie 2016/681 verläuft in den Mitgliedstaaten schleppend, trotz der Deadline vom 25. Mai 2018.
  • Barbara Hübner, Pressestelle des Bundeskriminalamtes, 18.12.2018
  • Dr. Iris Gnedler, stellvertretende Pressesprecherin des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, 09.01.2019
  • Guido Kirchner, Mitarbeiter in dem IT Bereich von Capgemini am Kölner Standort, Mitverantwortlich für den Aufbau des Fluggastdaten-Informationssystem, 15.11.2018

 

  • Auswärtiges Amt, Vertretung der Interessen Deutschlands in der Welt und Förderung des Internationalen Austausches, https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/buergerservice-faq-kontakt/faq/02-ewr-eu/606444.
  • Bundesanzeiger Verlag, Verlag veröffentlich elektronisch gesetzlich vorgeschriebene Bekanntmachungen und Gesetzt der Bundesrepublik Deutschland, https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl117s1484.pdf#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl117s1484.pdf%27%5D__1547718348512.
  • Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat, Bundesministerium ist u.a. für den Bereich Informationstechnik, Sicherheitsaufgaben und die Verwaltung zuständig, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/faqs/DE/themen/sicherheit/pnr/pnr-liste.html.
  • Bundesverwaltungsamt, Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Inneren, für Bau und Heimat, https://www.bva.bund.de/SharedDocs/Aufgaben/DE/F/fluggastdatenregister.html?nn=44090.
  • EUR-Lex Access to European Union Law, Online-Datenbank mit Zugriff auf das Amtsblatt der Europäischen Union oder das EU-Recht, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A32016L0681.

 

Kommentar:

„Fast alle Informationen in den Fluggastdatenbanken der Mitgliedsstaaten beziehen sich auf Personen, die einfach nur reisen und ungefährlich sind. Diese langjährige anlasslose Vorratsdatenhaltung ist es, die wir Datenschützer bemängeln“.

Dr. Iris Gnedler (stellvertretende Pressesprecherin des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit.)