2018: Top 7

Gesundheitsgefahren und fehlende politische Regulierung der Schichtarbeit

Schicht- und Nachtarbeiter sind enormen Gesundheitsrisiken ausgesetzt, die politische Handhabung des Problems lässt jedoch Fragen offen. Neben der Gefahr von Schlafstörungen und ihren Folgeerscheinungen, der Störung des Biorhythmus, ist auch das Kunstlicht während der Nachtarbeit ein Problem. Zu den gesundheitlichen Themen gibt es auch vereinzelt kleine Anfragen im Bundestag. Politische Lösungsansätze finden sich nicht, im Gegenteil, die Arbeitszeiten wurden in den letzten zwanzig Jahren immer flexibler. Damit steigt auch die Relevanz der Schichtarbeitsthematik. Darüber hinaus stellt auch die Aufklärung der Schichtarbeiter ein Konfliktfeld dar. Wie informiert sind die Schichtarbeitenden über ihren Arbeitsplatz? Der Medienfokus liegt bislang auf den gesundheitlichen Folgen. Doch die Fragen „Wo bleiben die politischen Antworten auf die Problematik?“ und „Wie sehen die Rechte in der Schichtarbeit aus?“ bleiben weitgehend unbeleuchtet. 

Sachverhalt & Richtigkeit:

Wichtige Fragen im Zusammenhang mit der Schichtarbeit sind zum einen die Aufklärung der Beschäftigten über die bestehenden Risiken, zum anderen die politischen Maßnahmen, die eben diesen Gefahren entgegenwirken sollen. Zumindest die Problematik des schädlichen Einflusses von Kunstlicht, das insbesondere für die Nachtarbeit unerlässlich ist, scheint in der Politik angekommen zu sein. Das interdisziplinäre Forschungsvorhaben „Verlust der Nacht“ (Mai 2010 – Dezember 2013), in dessen Rahmen die ökologischen, gesundheitlichen sowie kulturellen und sozioökonomischen Auswirkungen, aber auch die Ursachen für die zunehmende Beleuchtung der Nacht fachübergreifend untersucht wurden, war von der Bundesregierung mit über 3 Millionen Euro gefördert worden. In diesem Zusammenhang war in Teilprojekten auch zu den gesundheitlichen Folgen von Kunstlicht sowie innovativen Beleuchtungstechniken geforscht worden. Der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion aus dem Jahre 2015 ist jedoch zu entnehmen, dass seitdem keine weiteren Forschungsvorhaben oder Projekte angestrebt wurden. Erst kürzlich hatte sich das Büro für Technikfolgen-Abschätzung (TAB), das den Bundestag bei forschungs- und technologiepolitischen Fragen berät und Analysen liefert, einige Gutachten zum Ausmaß der Lichtverschmutzung, den gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen sowie möglichen Handlungsansätzen ausgeschrieben. Die mittlerweile vergebenen Gutachten werden von Juli bis Oktober 2018 bearbeitet, sodass bis Ende des Jahres Ergebnisse zu erwarten sind. Die möglichen Folgen von künstlicher Beleuchtung in Innenräumen steht hier allerdings nicht im Mittelpunkt des Interesses. „Das TAB-Projekt zielt auf die Eruierung des Wissensstandes zu den unintendierten Nebenwirkungen künstlicher Beleuchtung im Außenbereich ab.“, hieß es auf Nachfrage von Seiten des TAB. Auf die Frage nach bereits durchgeführten oder in Zukunft geplanten Untersuchungen zum Thema Beleuchtungstechniken am Arbeitsplatz hieß es, „seitens des TAB gab es noch keine Untersuchung hierzu, noch ist derzeit abzusehen, dass dies ein Thema wird.“ Christoph Schröter-Schlaack, Leiter des Projekts beim TAB, wies jedoch darauf hin, dass es zu dem humanmedizinischen Auswirkungen von Kunstlicht eine weitreichende wissenschaftliche Diskussion sowie umfangreiche Literaturquellen gäbe.

Insgesamt nimmt man sich auf politischer Ebene dem Themenkomplex also durchaus an, einige Fragen bleiben jedoch unbeantwortet. Zum Beispiel warum bezüglich der Lichtemissionen noch immer keine verbindlichen Richtlinien festgelegt wurden, wie es bereits im Falle der TA Luft und der TA Lärm geschehen ist. (Bei diesen „Technischen Anleitungen“ handelt es sich um Verwaltungsvorschriften zum Bundesimmissionsschutzgesetz, die verbindliche Immissionsrichtwerte vorgeben.)

Die Folgen von Kunstlicht

Da die Arbeitsgemeinschaft Immissionsschutz (LAI) Hinweise zur Messung, Beurteilung und Minderung von Lichtimmissionen verabschiedet hat, scheint man bisher keinen Bedarf für eine Konkretisierung in Form verbindlicher Richtwerte gesehen zu haben. Dabei hat Kunstlicht weitreichende Folgen: Es beeinflusst die Ausschüttung des Hormons Melatonin, das maßgeblich für die Steuerung des Tag-Nacht-Rhythmus verantwortlich ist. Die Lichtmenge, die über die Pupille ins Auge eindringt, beeinflusst die Herstellung des Hormons. Je größer der Lichteinfluss, desto geringer die Hormonausschüttung. Dieser Umstand macht sich zuerst in unserem Müdigkeitsempfinden bemerkbar, da uns ein niedriger Melatoninspiegel wach hält, während ein hoher für Müdigkeit sorgt. So beeinträchtigen künstliche Lichtquellen, denen wir uns bewusst oder gezwungenermaßen aussetzen, unseren chronobiologischen Zyklus, was in erster Instanz zu Schlafstörungen führen kann, die ihrerseits weitreichende Gesundheitsprobleme befördern.

Dass Schichtarbeiter unwesentlich häufiger mit Schlafstörungen zu kämpfen haben, steht fest: Die DAK (Deutsche Angestellten Krankenkasse) hat in ihrem Gesundheitsreport 2017 herausgestellt, dass knapp 80% aller Erwerbstätigen regelmäßig unter Einschlaf- und Durchschlafproblemen leiden. Unter Schichtarbeitern leiden 30% an ernstzunehmenden Schlafstörungen. Dass ein solcher Schlafmangel den Beschäftigten zu schaffen macht, bestätigen auch Betroffene selbst. „Der Schichtdienst wird unter den Pflegefachkräften und anderen Pflegenden schon als sehr belastend empfunden, insbesondere, wenn man im 3-Schicht-System (Früh-Spät-Nacht) arbeitet“, gibt Martin Petzold, Mitglied des Bundesvorstands des Berufsverbands der Altenpflege zu verstehen. Schlaf- und Essstörungen seien häufige Begleiterscheinungen, sagt der 60-Jährige, der selbst lange Zeit als Pflegefachkraft tätig war. Diese Erfahrung teilen auch andere Beschäftigte im Pflegesektor: „Die Schlafsituation kann manchmal problematisch sein.“, sagt beispielsweise auch Christine S., die als Altenpflegerin in einem Berliner Pflegeheim für Senioren und Demenzkranke arbeitet. „Für mich ist vor allem der Übergang aus den Nachtschichten nicht immer leicht. Da kämpf ich dann manchmal schon mit Schlafmangel und Müdigkeit, aber das pendelt sich dann auch wieder ein.“ Von ähnlichen Erfahrungen berichten auch Arbeitnehmer aus anderen Bereichen. Für Andreas K., der als Maschinist für Wärmekraftwerksanlagen seit über 25 Jahren im Schichtdienst tätig ist, ist neben dem eventuellen Schlafmangel und den verschobenen Essenszeiten auch die fehlende Zeit mit der Familie ein großer Nachteil der Schichtarbeit.

„Mit der Einführung der Schichtarbeit erschuf man ein Leben wider die Natur.“

Trotz aller Schwierigkeiten sind Schichtarbeiter nach eigener Aussage an ihren Tagesablauf gewöhnt. Eine Feststellung, der Prof. Weeß entschieden widerspricht: „Mit der Einführung der Schichtarbeit (…) erschuf man ein Leben wider die Natur. Ich sage das ganz bewusst so drastisch, weil man verstehen muss, dass ein solches Schlafverhalten, wie es von Schicht- und Nachtarbeitern gefordert wird, biologisch nicht vorgesehen ist und man sich letztlich auch kaum daran gewöhnen kann.“ Fest steht, dass Schlafstörungen unmittelbar zu Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhter Nervosität, schneller Ermüdung sowie Appetitlosigkeit führen kann. Auch Magen-Darm-Probleme stehen oft mit einem gestörten Rhythmus in Zusammenhang: Aufgrund der verschobenen Arbeitszeiten nehmen vor allem Nachtarbeiter ihre Hauptmahlzeit nicht zu den gewohnten Zeiten ein, was dauerhaft zu einer veränderten Sekretion von Verdauungsenzymen und Veränderungen der Magen-Darm-Aktivität führen kann. Infolge dessen klagen Schichtarbeiter vermehrt über Verdauungsprobleme oder Sodbrennen. Verschiedene Studien konnten unter Schichtarbeitern ein vermehrtes Vorkommen von Magengeschwüren und Erkrankungen am sogenannten Reizdarmsyndrom nachweisen. Auch das Risiko an Herz-Kreislaufproblemen zu leiden, scheint durch die Schichtarbeit begünstigt zu werden. Allerdings sind sich Forscher in diesem Zusammenhang nicht einig, ob solche Erkrankungen durch die Schichtarbeit an sich oder weitere externe Faktoren begünstigt werden.

Erhöhtes Krebsrisiko

Ein besonders heikles Thema im Zusammenhang mit Gesundheitsrisiken durch Schichtarbeit ist die Frage nach einem erhöhten Krebsrisiko. 2007 hatte die Internationale Agentur für Krebsforschung Schichtarbeit als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft. Auf Grundlage von Tierversuchen konnte ein kausaler Zusammenhang zwischen einer Störung des Tag-Nacht-Rhythmus und dem Entstehen bösartiger Tumore nachgewiesen werden. Hintergrund ist die verhinderte Ausschüttung von Hormonen, die ihrerseits tumorbekämpfend wirken würden. Zahlreiche in den Folgejahren durchgeführte Studien mit Menschen konnten jedoch keinen signifikanten Zusammenhang ausmachen, weshalb die These der krebserregenden Schichtarbeit in Forscherkreisen heiß diskutiert bleibt. Zuletzt können durch Schichtarbeit hervorgerufene Schlafstörungen auch kognitive Beeinträchtigungen zur Folge haben. So nehmen Aufmerksamkeitsleistung und Dauer des Kurzzeitgedächtnisses bei Schlafstörungen ab. Im Vergleich zu Tagarbeitern weisen Schichtarbeiter auch allgemein eine geringere kognitive Leistungsfähigkeit auf. Auch psychische Beeinträchtigungen können die Folge sein. Befragungen unter Schichtarbeitern wiesen vermehrt depressive Verstimmungen nach. Hinsichtlich der mentalen Folgen fügt Prof. Weeß hinzu: „Studien legen nahe, dass Schlafstörungen, die über 10 Jahre andauern, dementiell ähnliche Symptome hervorrufen können. Grundsätzlich begünstigen Schlafstörungen auch Erkrankungen wie Parkinson.“ Der Zusammenhang zwischen Schichtarbeit und dem erhöhten Risiko für diverse Gesundheitsprobleme ist heute zweifelsfrei anerkannt, wesentlich weniger diskutiert bleibt die Frage, inwiefern die betroffenen Arbeitnehmer über diese Gesundheitsrisiken und mögliche Präventionsmaßnahmen aufgeklärt werden.

Das Arbeitszeitgesetz regelt Schicht- und Nachtarbeit.

Die Ausgestaltung von Schicht- und Nachtarbeit wird grundsätzlich durch das Arbeitszeitgesetz des Bundesministeriums der Justiz und des Verbraucherschutzes bestimmt. § 6 des Gesetzestextes regelt erstens die erlaubte Schichtdauer von höchstens acht Stunden. Zudem hat ein Arbeitnehmer vor Antritt einer Schichtarbeit, sowie danach im regelmäßigen Abstand von drei Jahren Anrecht auf eine arbeitsmedizinische Untersuchung. Ab dem 50. Lebensjahr kann eine solche sogar jährlich erfolgen. Die Kosten dieser Untersuchung muss der Arbeitgeber tragen, wenn sie nicht ohnehin durch einen Betriebsarzt durchgeführt wird. Dass diese Routineuntersuchungen in Anspruch genommen werden, bestätigten auch die befragten Schichtarbeiter in den Gesprächen. Hier wird unter dem Schlagwort der „Schichttauglichkeit“ ausdrücklich Augenmerk auf mögliche Folgeerscheinungen der Schichtarbeit gelegt, um abzuschätzen, inwiefern eine Schichttätigkeit für den Betroffenen vertretbar ist. Sollten im Rahmen dieser Untersuchung Gesundheitsschäden festgestellt werden, die eine weitere Tätigkeit im Schichtdienst unmöglich macht, muss dem betroffenen Arbeitgeber ein entsprechender Arbeitsplatz im Tagesdienst zugewiesen werden. Im Jahre 2014 fällte das Bundesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang ein Urteil, das als wegweisend für den Umgang mit Schichtarbeitern bezeichnet werden kann: Eine Krankenschwester, die seit 1983 in einem Krankenhaus beschäftigt war und dort regelmäßig für Nachtschichten eingeteilt war, hatte Anklage gegen ihren Arbeitgeber erhoben. Der Grund: nachdem sie aufgrund einer Erkrankung Medikamente einnehmen musste, die Müdigkeit hervorrufen, war sie nicht mehr in Lage im Nachtdienst zu arbeiten. Daraufhin erklärte ihr Arbeitgeber sie für arbeitsunfähig, statt ihrem Wunsch, nur noch im Tagesdienst eingesetzt zu werden, zu entsprechen, da sie die geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr in vollem Umfang erbringen könne. Von betriebsärztlicher Seite wurde zwar bestätigt, dass die Klägerin aufgrund ihrer Medikamenteneinnahme nicht länger im Nachtdienst einsetzbar wäre, eine allgemeine Arbeitsunfähigkeit wurde allerdings nicht festgestellt. Auf dieser Grundlage entschied auch das Gericht für die Klägerin und legte fest, dass das Arbeitsverhältnis mit angepassten Arbeitszeiten fortzubestehen habe. Der Arbeitgeber muss also auf die gesundheitlichen Einschränkungen der Beschäftigten eingehen und Schichtpläne unter Umständen entsprechend anpassen. Diesen Umstand konnte auch die im Rahmen der Recherche befragte Altenpflegerin bestätigen; auch in ihrem Kollegenkreis gibt es eine Mitarbeiterin, die aufgrund eines solchen Attests mittlerweile von der Nachtschicht freigestellt wurde.

Insgesamt setzt das Gesetz ausdrücklich fest, die Schicht- und Nachtarbeit entsprechend arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse zu gestalten. Die Bedeutung der richtigen Maßnahmen in den Unternehmen unterstreicht auch Dr. Weeß. „Besonders wichtig ist die Arbeit in den Betrieben.“, erklärt der Schlafmediziner, der als Mitglied der Expertengruppe zur neuen Leitlinie Schichtarbeit an einer Zusammenfassung medizinisch relevanter Daten zur Schichtarbeit arbeitet, „Studien in Unternehmen haben bewiesen, dass dort, wo Schulungen zu dem Thema stattfinden, sich auch schnell Besserungen einstellen.“

Die Frage, ob man von Seiten der Arbeitgeber ausreichend auf die Problematik einginge, bejahte Weeß. „Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, da wir da vor 10 Jahren noch auf weitgehend taube Ohren gestoßen sind. Damals hatten die Unternehmen eher Angst, ihre Arbeiter zu verprellen. Sie dachten, wenn sie die Schichtarbeiter über die möglichen Risiken aufklären oder den Eindruck entstehen lassen, dass das Ganze mit Problemen behaftet ist, würden alle versuchen, sich aus dem Schichtdienst entfernen zu lassen. Da sehen wir heute ein ganz anderes Problembewusstsein, das in den Unternehmen heranwächst.“

Schichtplanoptimierung

Dass man sich auch in den zuständigen Institutionen mit den Möglichkeiten zur Schichtplanoptimierung auseinandersetzt, scheint auch die Fülle an Leitfäden, Broschüren und Ratgebern zu beweisen, die von verschiedensten Einrichtungen zusammengestellt wurden. Von der Interessenvertretung der Betriebskrankenkassen über die Initiative Neue Qualität der Arbeit, in deren Steuerkreis Vertreter der Bundesregierung, der Arbeitnehmer –sowie der Arbeitgeberseite zusammenarbeiten, bis hin zu universitären Forschungseinrichtungen haben unterschiedlichste Stellen Dokumente veröffentlicht. Darüber hinaus wird ein weit gefächertes Angebot an Seminaren und Fortbildungen zum Thema Schichtarbeit angeboten, um den für die Schichtplangestaltung Verantwortlichen das nötige Verständnis für die Problematik und adäquate Lösungsansätze an die Hand zu geben. Unter dem Stichwort der ergonomischen Schichtplangestaltung finden sich ausgearbeitete Ansätze und Programme für optimierte Dienstpläne, die den Schicht- und Nachtarbeitern so weit wie möglich entgegenkommen. Auf die Frage, welche Maßnahmen Unternehmen und Betriebe in diesem Sinne ergreifen können, antwortete Frank Brenscheidt, der sich an der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin schwerpunktmäßig mit dem Thema Schichtarbeit befasst: „Eine mögliche Maßnahme, die Unternehmen da umsetzen können, ist es z.B. möglichst wenige Nächte hintereinander arbeiten zu lassen. Darüber hinaus ist es ratsam, Schichtpläne nach dem natürlichen Tagesablauf auszurichten, d.h. erst Früh, dann Spät, dann Nacht zu arbeiten, und nicht wild zwischen den Schichten zu springen. Wesentlich allgemeiner natürlich auch die Maßgabe die Arbeitszeit generell zu begrenzen und vielleicht sogar die  klassische 40-Stunden-Woche zu verkürzen.“

Dass man betriebsintern eine möglichst adäquate Schichtplangestaltung anstrebt bestätigten auch die befragten Schichtarbeiter selbst. Altenpflegerin Christine S. schildert: „Die Pflegedienstleitung achtet schon so darauf, dass wir nicht übermäßig Nachtschichten hintereinander arbeiten und auch dass die Übergänge und die Pausen dazwischen für uns in Ordnung sind. Wir können darüber hinaus auch Präferenzen äußern, weil natürlich jeder unterschiedlich gut mit den verschiedenen Schichten klar kommt.“ Ganz ähnlich äußert sich auch Maschinist Andreas K.: „Auf was geachtet wird, ist, dass unsere Übergänge (von einer Schicht in die nächste) machbar sind. Wir werden also nicht willkürlich von einer Schicht in die andere geworfen, sondern haben da eigentlich ein ganz gutes System. Ansonsten wird eben auch darauf geachtet, dass wir keine zu langen Schichten arbeiten, also unsere maximale Arbeitszeit wird begrenzt.“

Eine weitere Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen in Betrieben zu verbessern, ist die Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen. So gehen beispielswiese universitätsnahe Forschungsgruppen in Betriebe und schauen sich die Abläufe dort insgesamt an, um zu beurteilen, welche Maßnahmen zu einer Verbesserung beitragen könnten. Frank Brenscheidt von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin weiß in diesem Zusammenhang von einem solchen Projekt zu berichten, in dem die zuständige Forschungsgruppe aufgrund der überdurchschnittlichen Belastung der Mitarbeiter eines Stahlwerks eine Verkürzung der Schichten vorschlug. „So eine praxisnahe Arbeit ist meiner Ansicht nach unerlässlich, denn es kann nicht eine Musterlösung oder ein Modell geben, das für alle funktioniert.“, stellt Brenscheidt fest, „Stattdessen muss man sich die individuellen Begebenheiten ansehen, um dann auch spezifische Handlungsempfehlungen aussprechen zu können. Letztlich liegt es bei den Arbeitgebern, Möglichkeiten zur Verbesserung des Systems herauszufinden und umzusetzen.“ Dass Unternehmen ein gesteigertes Interesse daran haben, die Bedingungen für ihre Beschäftigten zu verbessern scheint auf der Hand zu liegen. Schließlich sind krankheitsbedingte Arbeitsausfälle keineswegs in ihrem Interesse.

Laut Brenscheidt sind es heutzutage oftmals nicht die Betriebe, die sich gegen Veränderungen in ihren Abläufen wehren, sondern die Beschäftigten selbst: „Viele Unternehmen wollen aus den genannten Gründen Änderungen am Schichtsystem vornehmen, stoßen aber bei ihren Beschäftigten erstmal auf Ablehnung. Da bekommen die Verantwortlichen z.B. auf Seminaren Informationen zu ergonomischen Schichtplänen, können diese aber nicht einfach durchsetzen, da die Betriebsräte ein Mitspracherecht haben. Da bekommen wir dann nicht selten Anfragen, die Belegschaft auf einer Mitarbeiterversammlung aufzuklären, um eine größere Bereitschaft für Änderungen zu schaffen. Man muss diese Haltung der Arbeitnehmer verstehen, schließlich sind sie an das alte System gewöhnt und wollen daran festhalten, auch wenn für uns klar scheint, dass dieses alte System für sie nicht optimal oder sogar schlecht ist. Wer lange mit einem bestimmten Schichtsystem arbeitet, richtet auch sein Leben auch nach seinen Arbeitszeiten aus. Dementsprechend ist die Bereitschaft, das alles über den Haufen zu werfen, nur weil jemand um die Ecke kommt und der Meinung ist, ein besseres System zu kennen, im ersten Moment nicht immer allzu hoch. Was wir aber beobachten können, wenn wir ein Jahr nach solchen Änderungen zurück in die Betriebe gehen, um dort die Arbeiter zu befragen, ist, dass in 90% der Fälle eine bemerkbare Verbesserung zu sehen ist, im Befinden der Beschäftigten sowie in den Zahlen der Krankheitstage.“ Trotz der geschilderten Bemühungen scheinen die nötigen Informationen nicht zu den Betroffenen selbst vorzudringen. Maschinist Andreas K. erzählt zwar, dass Mitarbeiter in seinem Betrieb mit Hilfe einer Computer-Software (sam) informative Module zum allgemeinen Arbeitsschutz absolvieren müssen, wobei auch Schicht- und Nachtarbeit Teil des Themenkatalogs sind, trotzdem ist keiner der befragten Schichtarbeiter bisher, z.B. im Rahmen eines Seminars, einer Fortbildung, oder durch eine der genannten Broschüren, mit dem Thema der Gesundheitsrisiken konfrontiert worden.

Relevanz:

Laut Statistischem Bundesamt arbeiten mehr als 3 Millionen Mitarbeiter regelmäßig in der Nacht, betrachtet man die Zahl derer, die in Schicht und damit mitunter in der Nacht arbeiten, erhöht sich die Zahl auf über 6 Millionen. Seit den 1990er Jahren hat sich die Anzahl der Schichtdienstleistenden kontinuierlich erhöht und wird auch voraussichtlich weiter ansteigen. Besonders zu beachten ist auch der Umstand, dass eine Tätigkeit in Schicht- oder Nachtarbeit nicht nur den einzelnen Beschäftigten betrifft, sondern vielmehr auch sein direktes Umfeld. Von Angehörigen muss Rücksichtnahme und Unterstützung erwartet werden, vor allem das Familienleben kann unter den unregelmäßigen Arbeitszeiten leiden. Daraus ergibt sich eine nicht zu verachtenden Bedeutung der Frage nach einer umfassenden Aufklärung betroffener Schicht- und Nachtarbeiter, aber auch eine enorme Verantwortung auf politischer Ebene nach Verbesserungsmöglichkeiten des Schichtsystems zu suchen.

Vernachlässigung:

Insgesamt sind die Risiken der Schichtarbeit über die Jahre hinweg immer wieder ins Interesse der Medien gerückt, sodass man der generellen Thematik eine konstante mediale Präsenz nachsagen kann. Der Fokus der Berichterstattung lag hierbei jedoch immer auf den medizinischen Erkenntnissen und den erforschten Risiken der Schichtarbeit. Häufig waren es veröffentlichte Studien und deren Ergebnisse, die die Diskussion zum Thema neu anzufachen vermochten. Die Wichtigkeit des übergeordneten Themas liegt allein schon in Anbetracht der beträchtlichen Anzahl potentiell Betroffener auf der Hand und ist als solche auch von den Medien erkannt worden. Die Frage, inwieweit die betroffenen Arbeitnehmer über diese benannten Risiken Bescheid wissen oder in ihren Betrieben darüber in Kenntnis gesetzt werden, ist dagegen nicht aufgeworfen worden. Auch auf die rechtlichen Hintergründe den Arbeitsschutz betreffend ist in den Beiträgen nicht eingegangen worden.

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Quellen:

Personen: E-Mail-Verkehr mit Christopher Kyba, Physiker am Helmholtz-Zentrum Potsdam und Experte für Lichtverschmutzung (Deutsches Geoforschungszentrum GFZ) à kyba@gfz-potsdam.de

 

E-Mail-Verkehr mit Christoph Schröter-Schlaack, Gutachter beim Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag à christoph.schroeter-schlaack@ufz.de

 

Telefongespräch mit Dr. Hans-Günter Weeß, Somnologe und Leiter des Schlafzentrums am Pfalzklinikum à hans-guenter.weess@pfalzklinikum.de
Telefongespräch mit Frank Brenscheidt, Experte für Schichtarbeit bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin à Kontaktvermittlung über Thea Buchholz (buchholz.thea@baua.bund.de)

 

Gespräche mit Schichtarbeitern (Altenpflegerin sowie Maschinist für Wärmekraftwerksanlagen)

 

Dokumente: Arbeitszeitreport 2016 Deutschland, herausgegeben von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin

 

Arbeitszeitgesetz des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz

 

DAK Gesundheitsreport 2017

 

Patientenratgeber der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) AG Chronobiologie, Schlafprobleme bei Schichtarbeit

 

Report der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung zur Schichtarbeit

 

Ratgeber für Schichtarbeiter vom BKK Dachverband

 

Kommentar:

„Mit der Einführung der Schichtarbeit, die ganz ursprünglich ja nur auf eine Optimierung der Arbeitskapazitäten abzielte, erschuf man ein Leben wider die Natur.“ (Dr. Hans-Günter Weeß, Somnologe)

 

„Die Arbeitgeberseite geht mittlerweile vermehrt darauf ein. Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung, da wir da vor 10 Jahren noch auf weitgehend taube Ohren gestoßen sind.“ (Dr. Hans-Günter Weeß, Somnologe)

 

„Viele Unternehmen wollen aus den genannten Gründen Änderungen am Schichtsystem vornehmen, stoßen aber bei ihren Beschäftigten erstmal auf Ablehnung.“ (Frank Brenscheidt, Experte für Schichtarbeit bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)