2018: Top 2

Portugal überwindet Finanzkrise – ohne Sparen

Nach der Finanzkrise schien es für die betroffenen südeuropäischen Länder, allen voran Portugal, nur eine Wahl zu geben: die von der EU geforderten drastischen Kürzungen umzusetzen. Doch ist Sparen der einzige Weg, um sich zu sanieren? Das Beispiel Portugal überrascht.

2015 wurde in Portugal, nach der Regierungsübernahme durch eine breit gefächerte linke Opposition, die Abkehr von der Sparpolitik beschlossen: Mindestlohn und Pensionen wurden angehoben, Lohnkürzungen zurückgenommen und zusätzliche Urlaubstage eingeführt. Und siehe da! das Budgetdefizit auf dem niedrigsten Stand seit 40 Jahren, Portugal konnte einen Kredit von 1,7 Milliarden Euro vorzeitig an den IWF zurückzahlen und auch das Defizit-Ziel von 3% der jährlichen Wirtschaftsleistung wurde eingehalten und sogar unterschritten. Die positiven Effekte wurden lange Zeit in den deutschen Medien nicht beachtet oder als nur temporäre Entwicklung abgestempelt.

Sachverhalt & Richtigkeit:

In der Europäischen Union (EU) wird seit der Finanzkrise 2008 die nationale Souveränität der wirtschaftlich instabilen Mitglieder durch eine als alternativlos betrachtete Sparpolitik eingeschränkt. Hauptakteure sind dabei die Europäische Zentralbank (EZB), die durch die Zinspolitik die Stabilität der Wirtschaftszone gewährleisten soll, wie auch die wirtschaftsstarken zentraleuropäischen Länder, die Exportinteressen verfolgen.

Von der Finanzkrise 2008 waren vor allem die südeuropäischen Länder betroffen. Spanien, Italien, Griechenland und Portugal traten zunehmend als Sorgenkinder Europas in den Fokus. Daraufhin wurde Portugals Bonitätsstufe von mehreren Rating-Agenturen heruntergesetzt. Unter dem internationalen Druck entschied sich die sozialdemokratische SD (als Minderheitsregierung mit Unterstützung der christlich-konservativen PSD) 2011 für eine Sparpolitik, die erhebliche Kürzungen der Sozialleistungen und der Gehälter im öffentlichen Dienst beinhaltete. Gegen diese Maßnahmen gab es starke Reaktionen seitens der Bevölkerung und des Parlaments, was dazu führte, dass der damalige Ministerpräsident Socrates nach der Blockade seines Sparpakets PEC IV zurücktreten und den noch härteren Sparkurs der Troika annehmen musste, woraufhin die Regierung aus einer mitte-rechts Koalition von PSD und CDS-PP gebildet wurde.  Von 2011 bis 2015 befand sich Portugal unter dem EU-Rettungsschirm.

Als dann bei den Wahlen im Oktober 2015 die alte Koalition zwar die stärkste Kraft blieb, jedoch die absolute Mehrheit im Parlament verlor, stürzte die Opposition die Regierung mittels eines Misstrauensvotums.Die aktuelle Regierung bildet sich aus einer PS (Partido Socialista)-Minderheitsregierung mit Duldung der Linken (Bloco de Esquerda), Kommunisten (Partido Comunista Portugues) und Grünen (Partido Ecologista Os Verdes). Das Hauptanliegen dieser Regierung ist die schrittweise Umkehrung der rigiden Sparpolitik. Die Löhne im öffentlichen Dienst, der allgemeine Mindestlohn und die Sozialleistungen wurden angehoben um die Kaufkraft der Bevölkerung zu erhöhen und so die Konjunktur in Schwung zu bringen. Die weitgehende Privatisierung des Dienstleistungssektors (Wasser, Strom, Transport, etc.) wurde gestoppt. Um diese Ausgaben zu stemmen, wurden die indirekten Steuern, wie zum Beispiel auf Benzin, Tabak und Alkohol, angehoben.

Die internationale Reaktion auf diese Ankündigungen waren pessimistisch bis wütend-apokalyptisch, da sie der europäischen Sparpolitik, wie sie zum Beispiel in Griechenland und Irland durchgesetzt wurde, dem Medien- und Expertenkonsens widersprechen. Über die realen Verbesserungen der portugiesischen Wirtschaft wurde dagegen nicht berichtet. So sank das Haushaltsdefizit 2016 auf 2% des BIP, verglichen mit 4,4% im Vorjahr, die Arbeitslosenzahlen von über 17% im Jahr 2013 auf unter 10%, während die Wirtschaftsleistung durch Exporte und Tourismus sowie durch Steigerung des nationalen Konsums um 1,2% zulegte. Man kann aus diesen Kennzahlen herauslesen, dass die europäische Finanzpolitik mit ihren rigiden Sparvorgaben bei weitem nicht so alternativlos sein könnte.

Die Frage, die sich nun stellt ist, ob sich dieser portugiesische Effekt replizieren lässt, oder ob die Grundvoraussetzungen grundlegend verschieden sind. Portugal hatte bereits vor der Finanzkrise eine hohe Staatsverschuldung, schlechte Standortbedingungen und eine unflexible Bürokratie. Trotzdem konnte sich die Wirtschaft durch Kredite über Wasser halten und ein minimales Wirtschaftswachstum von 1% verzeichnen. Doch durch die Runterstufung der Bonität wurden die notwendigen Anleihen immer teuerer und Portugal gelangte in eine Schuldenspirale, in der die Zinsen die Einnahmen und somit das wirtschaftlich tragbare Maß überschritten. Ende 2010 erreichte die Staatsverschuldung 110% und die private Verschuldung (Finanzwesen ausgenommen) 200% des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Somit wurde Portugal gezwungen, seine staatlichen Institutionen dem internationalen Kapitalmarkt zu öffnen. 2009 kam es zur größten Akkumulation von Privatisierungen, beziehungsweise Teil-Privatisierungen seit dem Boom Anfang der 2000er. Die Krise wurde als Chance angesehen. Die Einschränkung von Arbeiterrechten, die Privatisierung von Unternehmen und weitgehende administrative Eingriffe konnten durch die temporäre Verunsicherung der Bevölkerung durchgesetzt werden.

Die einschneidenden Maßnahmen wurden stets mit einem bevorstehenden Staatsbankrott begründet. Die Maßnahmen der neuen Linksregierung in Portugal zeigen, dass dieser vielleicht doch nicht unmittelbar bevorsteht und die strenge Austeritätspolitik gelockert werden kann, um gleichzeitig wirtschaftliches Wachstum und soziale Gerechtigkeit zu realisieren.

Relevanz:

Die Finanzkrise und die EU-Rettungsschirme führten dazu, dass die bereits vorhandenen ökonomischen Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedsländern sich noch verstärkten, was in eine Art Zweiklassen-Europa mündete: Einerseits diejenigen, die finanzieren und diktieren, und andererseits diejenigen, die sich Geld leihen und dafür gehorchen müssen. Mit Portugal präsentiert sich nun erstmals ein Fall, welcher wohlmöglich eine Alternative bietet. Dennoch erscheint Portugal neben Griechenland in der deutschen Öffentlichkeit immer noch als Blaupause für Euro-Skeptiker/innen, die mit Verweis auf die angeblich hohen Schulden dieser Südländer eine rigide und europafeindliche Politik befördern wollen. Es hat darum hohe Relevanz, auf die positiven Effekte der wirtschaftlichen Entwicklung eines Lands wie Portugal hinzuweisen.

Vernachlässigung:

DasThema ist nur auf geringe Medienresonanz gestoßen. Die Alternativlosigkeit zur Sparpolitik wird von der Zeit 2015 nach der Wahl erwähnt (http://www.zeit.de/2015/41/portugal-sparpolitik-wahl). Das sich noch jahrelang hinziehende Sparen Portugals wird in einem Interview von Euronews prophezeit (http://de.euronews.com/2015/05/15/so-geht-es-den-portugiesen-nach-vier-jahren-sparpolitik).

Erstmals wird im Frühsommer 2017, also zwei Jahre nach der Regierungsübernahme, von den Vorteilen der Politik Costas berichtet, allerdings nur bei eher regional verbreiteten Medien, etwa kontraste.at (https://kontrast.at/so-zeigt-portugal-der-eu-wie-man-ohne-sparen-aus-der-krise-kommt/)  und der Badischen Zeitung (http://www.badische-zeitung.de/kolumnen-sonstige/ein-kleines-wunder-namens-portugal–134910859.html). Dennoch schreibt die Welt noch 2016 über einen Rückschritt und bezweifelt einen Erfolg Costas (https://www.welt.de/finanzen/article151353143/Ohne-ein-Wunder-stuerzt-Portugal-uns-in-eine-tiefe-Krise.html), genauso wie die Frankfurter Rundschau (http://www.fr.de/wirtschaft/dossier/schuldenkrise/euro-krise-portugal-ein-sorgenkind-wie-griechenland-a-305314). Der Großteil der deutschen Öffentlichkeit wird nicht gut über die positive Entwicklung Portugals informiert.

Quellen:

http://www.zeit.de/2015/41/portugal-sparpolitik-wahl, http://de.euronews.com/2015/05/15/so-geht-es-den-portugiesen-nach-vier-jahren-sparpolitik,https://kontrast.at/so-zeigt-portugal-der-eu-wie-man-ohne-sparen-aus-der-krise-kommt/, http://www.badische-zeitung.de/kolumnen-sonstige/ein-kleines-wunder-namens-portugal–134910859.html, (https://www.welt.de/finanzen/article151353143/Ohne-ein-Wunder-stuerzt-Portugal-uns-in-eine-tiefe-Krise.html,(http://www.fr.de/wirtschaft/dossier/schuldenkrise/euro-krise-portugal-ein-sorgenkind-wie-griechenland-a-305314

Gespräch mit Jamiro S., Cafeinhaber in Köln Ehrenfeld und Besitzer von Ferienhäusern in Sesimbra am 27.01.

Gespräch mit dem Besitzer des Bücherladens am Eigelsteintor, Bela Kovacs, eigentlicher Anstoss zur Recherche.

The Economic Adjustment Programme for Portugal, herausgegeben von der EU-Finanzkomission.

Kommentar:

„Portugal hat einen Bruch mit der Sparpolitik vollzogen. Nun tritt genau das ein, was Wirtschaftswissenschaftler schon lange erwartet haben. Die Investitionen greifen, der Markt belebt sich und die Arbeitslosigkeit geht zurück – und die Wirtschaft wächst wie in kaum einem Land in Europa“.
(kontrast.at)

 

Letztes Jahre konnte ich meine Häuser in Portugal renovieren und vermiete die jetzt. Das Land verdient viel Geld an den Touristen und ich finde, seit 2015 hat sich viel verbessert“.

(Jamiro S.)

 

„Die Krisenländer der EU werden gezielt destabilisiert und dann ausgeplündert. Genauso hat das die USA in Südamerika gemacht. Die Kommunisten wurden gejagt und es wurden Militärputsche unterstützt damit die neue Regierung der Öffnung des Kapitalmarktes zustimmt“.

(Bela Kovacs, Bücherladenbesitzer)