2018: Top 10 Humanitäre Krise im Tschad

Im Tschad suchen derzeit rund 700.000 Flüchtlinge Schutz vor Gewalt und Terror. Mehr als die Hälfte davon sind Kinder. Umgerechnet auf die Bevölkerung ist das ein Flüchtling auf jeden 20. Einwohner. Trotz Erdölvorkommen kann das Land, das zu den ärmsten der Welt zählt, die Last kaum stemmen. Im Human Development Index (2016) der Vereinten Nationen liegt der Tschad auf Platz 186 von 188. Während schon viele Einwohner nicht ausreichend versorgt werden können, gilt das für die Flüchtlinge umso mehr. Knapp vier Millionen Menschen sind mangelernährt. Rund eine Million leiden akut an Hunger. Die humanitäre Krise im Tschad wird in der Berichterstattung nur sehr selten erwähnt. So berichtete zwar die Tagesschau im Februar über die Lage in der Tschadsee-Region, allerdings kommt die aktuelle Entwicklung definitiv zu kurz. Die Vertreter der Hilfsorganisationen sehen das Problem in der Tatsache, dass andere humanitäre Krisen sowohl die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, aber auch personelle und finanzielle Ressourcen an sich binden.

Sachverhalt & Richtigkeit:

Der Tschad liegt in Zentralafrika, ist ungefähr dreieinhalbmal so groß wie Deutschland und hat 14 Millionen Einwohner. Fast 40 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, welche die Weltbank bei einem Einkommen von 1,90 US-Dollar pro Tag festgelegt hat. Immer wieder wird das Land von Dürren heimgesucht. Auch in den Städten kämpfen viele Menschen mit der Lebensmittelknappheit. Im Südwesten des Landes ist der Tschadsee – einst der größte Binnensee der Welt – vom Austrocknen bedroht. In den letzten 50 Jahren schrumpfte er um rund 90 Prozent. Die schlechte Infrastruktur trägt dazu bei, dass die Menschen hauptsächlich von Subsistenzwirtschaft abhängig sind.

Die tschadische Bevölkerung ist außerdem von verschiedenen bewaffneten Konflikten betroffen: Im Innern kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Rebellen, nach außen tobt ein Konflikt mit dem Nachbarland Sudan in der Region Darfur. Aus Nigeria fliehen Hunderttausende vor der Terrormiliz Boko Haram, die für einen islamischen Gottesstaat kämpft. Und auch aus der krisengeschüttelten Zentralafrikanischen Republik strömen die Menschen in Richtung Tschad. Diese kriegerischen Auseinandersetzungen haben dazu geführt, dass der Tschad derzeit rund 700.000 Geflüchtete beherbergt.

An der Spitze des Staates steht seit 1990 Präsident Idriss Déby-Itno. Ihm werden nicht nur Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, auch die Korruptionsvorwürfe sind massiv: Déby-Itno kontrolliert die wenigen profitablen Wirtschaftszweige des Landes, darunter auch die Förderung und den Verkauf von Erdöl. Doch das Geld kommt bei den Menschen nicht an. Ein freiwilliges Ende seiner autoritären Herrschaft ist nicht zu erwarten, zumal Déby-Itno zurzeit Vorsitzender der Afrikanischen Union ist.

Grundsätzlich ist die schwierige Lage in dieser Region bekannt. Jedoch ist es Hilfsorganisationen kaum möglich, in konfliktreichen Regionen Hilfe zu leisten. Die Leidtragenden sind nicht nur die Zivilbevölkerung, sondern auch die Hunderttausenden Flüchtlinge. Dieses Problem wird durch die schlechte Infrastruktur noch verstärkt. Und so sind es in erster Linie die vielen bewaffneten Konflikte, die den Tschad destabilisieren und eine Entwicklung verhindern.

Relevanz:

Durch die hohe Zahl an betroffenen Menschen in der Tschadsee-Region ist das Thema für die Weltgemeinschaft bedeutend. Aufgrund der Dürren und der politischen wie wirtschaftlichen Schwäche des Tschads wird es auch in Zukunft immer wieder zu humanitären Krisen kommen. Um auf zukünftige Hungersnöte besser vorbereitet zu sein und die Lage vor Ort nachhaltig zu verbessern, braucht es mehr Aufmerksamkeit und Berichterstattung.

 Vernachlässigung:

Die humanitäre Krise im Tschad wird in den Medien nur sehr selten erwähnt. So berichtete zwar die Tagesschau im Februar über die Lage in der Tschadsee-Region. Die aktuelle Entwicklung kommt jedoch zu kurz. Hilfsorganisationen beobachten, dass andere humanitäre Krisen sowohl mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erhalten, aber auch mehr personelle und finanzielle Ressourcen an sich binden. Diese fehlen dann für den Tschad. Mit einer Untersuchung der Meltwater Group liegen auch statistische Daten zur Vernachlässigung vor. Das Unternehmen zählte im Auftrag von Hilfsorganisationen und des Auswärtigen Amtes die Anzahl der Artikel in deutschen Onlisne-Medien. Dabei wurde verglichen, wie oft die Themen „Tschad“, „Syrien“ und „Dschungelcamp“ von Februar 2016 bis Februar 2017 erwähnt wurden. Das Ergebnis: Innerhalb eines Jahres wurde der Tschad nur 156-mal erwähnt, während mehr als 78.000 Artikel zu Syrien und mehr als 33.000 zum Dschungelcamp erschienen. An diesem Beispiel lässt sich sehr gut erkennen, wie humanitäre Krisen, die es in die Agenda der Medien geschafft haben, andere Krisen überschatten.

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Quellen:

E-Mail-Verkehr und Telefonat mit Sabine Wilke, Pressesprecherin von Care, 05.07.2017

E-Mail-Verkehr und Telefonat mit Volker Gerdesmaier, Leiter des Afrika-Referats bei Caritas international beim DCV Freiburg, 10.07.2017

E-Mail-Verkehr und Telefonat mit Rainer Fritz, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Caritas, 07.07.2017

E-Mail-Verkehr und Telefonat mit Steffen Küßner, Leiter Pressestelle Krisen und Konflikte, 05.07.2017

Human Development Reports, http://hdr.undp.org/en/countries/profiles/TCD

Africa Report Nr. 244 der International Crisis Group, https://d2071andvip0wj.cloudfront.net/244-watchmen-of-lake-chad-vigilante-groups-fighting-boko-haram.pdf

Bericht über vernachlässigte Krisen von Care, https://www.care.de/fileadmin/user_upload/Presse/Medieninformationen/20170117_CARE_Report_Suffering_in_Silence_-_The_10_most_under-reported_humanitarian_crises_of_2016.pdf

Übersicht der Länder in denen Oxfam aktiv ist, https://www.oxfam.de/unsere-arbeit/laender/tschad

Kommentar:

„Durch andere humanitäre Krisen, wie zum Beispiel den Syrien-Konflikt, wird die öffentliche Aufmerksamkeit und personelle sowie finanzielle Ressourcen gebündelt. Diese fehlen dann an anderer Stelle.“ (Sabine Wilke, Pressesprecherin von Care)