2017: Top 9

Fehlender Schutz von Kulturgütern bei atomarem GAU

Im Falle eines atomaren Unglücks, des sogenannten GAU, in einem Atomkraftwerk sind schon Mensch und Tier in Deutschland völlig unzureichend geschützt. Umso mehr gilt das für unschätzbares Kulturgut, das nach einem Atomunfall unwiederbringlich zerstört sein kann. Deutschland ist umringt von 65 Atomreaktoren der unmittelbaren Nachbarländer (Stand November 2016). In Belgien ist es vor allem der Reaktor in Tihange, der im Falle eines atomaren GAUs Teile West-Deutschlands atomar verunreinigen und unbewohnbar machen würde. In Frankreich sind es die Reaktoren Cattenom und Fessenheim. Selbst im eigenen Land hat Deutschland noch 8 aktive Atomreaktoren. Alle diese Reaktoren stellen eine Gefahr für Menschen und ihre Kultur dar. Zum Bevölkerungsschutz hat das Bundeministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit einen breiten Maßnahmenplan entwickelt. Doch für das Kulturgut ist ein explizit auf den atomaren Katastrophenfall zugeschnittener Maßnahmenplan nicht entwickelt worden. Ein Großteil der Verantwortung für einen Maßnahmenplan im Falle einer atomaren Katastrophe liegt bei den Ländern. Dennoch ist bisher nur für den allgemeinen Katastrophenfall, insbesondere den bewaffneten Konflikt, vorgesorgt. Auch der Bund steht in der Verantwortung, seine Kulturgüter zu schützen. Es existiert zwar von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) eine „Bestandsaufnahme zu Maßnahmen des Bundes zum Schutz von Kulturgut bei Katastrophen“, aber keinen Maßnahmeplan. Der Öffentlichkeit ist das vollkommen unbekannt.

Sachverhalt & Richtigkeit:

In 30 Ländern auf der Welt gibt es aktive Atomreaktoren. Die USA liegt mit 99 Reaktoren auf Platz eins der Liste. In Frankreich sind es 58 und in Belgien 7. Deutschland selbst hat 8 Kernkraftwerke in Betrieb, so das Statistik-Portal „statista.de“. Das Land Nordrhein-Westfalen kann eine große Vielfalt an schützenswerten Kulturgütern, wie beispielsweise Gemälde und Skulpturen, Drucke und Handschriften, Urkunden, Akten oder Amtsbüchern, vorweisen. Sie erzählen über die Geschichte ihrer Besitzer und prägen die Kultur des Landes. In der Datenbank Kulturschutz Deutschland werden diese Kulturgüter, aber vor allem ihre Aufbewahrungsorte erfasst. Darunter fallen die Länderverzeichnisse national wertvoller Kulturgüter wie auch die Länderverzeichnisse national wertvoller Archive. Zudem ist hier die Übersicht der beweglichen Denkmale mit aufgefasst. Durch diese Aufzählung wird deutlich, dass der Bund sich um einen Überblick der deutschen Kulturgüter bemüht. Dadurch können vergleichbare Strukturen der Archive, Bibliotheken und Museen festgestellt werden. Dieser Überblick verschafft dem Bund und den Ländern die Möglichkeit, einen Maßnahmenplan für die Sicherung von Kulturgütern zu entwickeln und einzusetzen. Auch das Krupp Archiv, mit Akten und Geschäftsbücher bis zum Jahre 1999, sind hier enthalten. Zu den im Länderverzeichniss national wertvollen Kulturgutes für Nordrhein-Westfahlen aufgeführten Kulturgütern, nachzulesen auf der Seite des Kulturschutzes Deutschland der BKM, gehören beispielsweise ein goldener Trinkbecher aus der Bronzezeit, mittelalterliche Glasmalereien aus Schloss Kappenberg oder auch der handschriftliche Nachlass des urkölnischen Ministers Kaspar Anton Freiherr von Belderbusch aus dem Jahre 1701 bis 1799 und vom ehemaligen Staatsminister Karl Freiherr vom und zu Stein aus dem Jahre 1701 bis 1899. Ebenso sind allerlei Bildtafeln aus Holz oder Leinwände in dem Länderverzeichnis benannt. Für alle aufgeführten, unter Schutz stehenden kulturellen Güter, wurden Vorkehrungen für den Katastrophenfall getroffen. Die BKM definiert eine Katastrophe als ein Geschehen, bei dem eine Vielzahl an Menschen ihre Lebensgrundlage oder bedeutende Sachwerte in außergewöhnlich hohem Maße gefährdet werden. Eine Katastrophe ist weiterhin ein Geschehen, dass nur durch die Akteure des Katastrophenschutzes abgewendet werden kann.
Je nach Ausgangslage ändern sich die Zuständigkeiten. In Fällen kriegerischer Auseinandersetzung ist der Bund für die Maßnahmen des Kulturgutschutzes zuständig; im Unglücksfalle und bei Katastrophen sind es die Länder. Darunter würden auch die nuklearen Gefahren fallen. Laut der Bestandsaufnahme der BKM gibt es sechs Gruppen von Akteuren, die im Katastrophenfalle zum Einsatz kommen. Zu den Akteuren, die beim Katastrophenschutz aktiv mitwirken, zählen zum einen die BKM und zum anderen das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW). Auch die Behörden und Einrichtungen im Kulturbereich (z.B. Bundesarchiv, Deutsche Nationalbibliothek (DNB), Akademie der Künste, Stiftung Deutsches Historisches Museum (DHM), Bundeskunsthalle) haben eigene Maßnahmen zur Sicherung und zum Schutz ihrer Kulturgüter unternommen. Das Bundesarchiv beispielsweise war bei der Einrichtung lokaler Notfallverbunde in Koblenz und Berlin maßgeblich beteiligt und hat am Standort Berlin-Lichterfelde sogar die Räumlichkeiten für das mobile Erstversorgungszentrum für den Notfallverbund zur Verfügung gestellt. Es wird deutlich, dass vor allem Interaktionen und Verknüpfungen als Maßnahmen vorgesehen sind. Auch das BBK beschäftigt sich nur mit einem kleinen Teil des Kulturgutschutzes und zwar der Sicherungsverfilmung von Dokumenten. Das BBK beschreibt diesen Vorgang auf der eigenen Internetseite. Archivalien werden seit 1961 nach den „Grundsätzen zur Durchführung der Sicherungsverfilmung von Archivalien / TA SiVerf“ zu Mikrofilmen produziert und im Barbarastollen, einem ehemaligen Stollen eines Silberbergwerkes – in der Nähe von Freiburg – gelagert. Da der Stollen aus Granit und Gneis besteht, bietet er eine hohe Abschirmung gegen äußere Gefahren. Zudem wurde er mit Stahlbeton ausgekleidet und mit Drucktüren abgesichert.
Weiterhin fasst das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) den kerntechnischen Katastrophenbereich unter den Begriff Strahlenschutzvorsorge. Zusammen mit der Katastrophenschutzvorsorge wird der Notfallschutz als Oberbegriff genutzt. Zu den hier zuzuordnenden Katastrophenschutzmaßnahmen gehören nach der Definition des BMUB die Vermeidung von deterministischen Strahlenschäden, sowie die Verringerung stochastischer Strahlenschäden. Der Bund ist hier dafür zuständig die Rahmenbedingungen festzulegen. Doch wird immer wieder nur von dem Schutz der Bevölkerung gesprochen und nicht vom Schutz der Kulturgüter. Ebenso ist in dem „gemeinsamen Jahresbericht 2014 der fünf amtlichen Messstellen für Umweltradioaktivität“ der Strahlenschutzvorsorge in Nordrhein-Westfahlen, des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (MKULNV) nur von Ergebnissen die Rede, die relevant für den Bevölkerungsschutz sind.
Grundlage des Kulturgutschutzes, vor allem bei bewaffneten Konflikten, ist der Beschluss der Haager Konferenz von 1954, der im Laufe der Zeit an aktuelle Gefahren angepasst wurde. Jedoch ist der Fall des atomaren GAU auch hier nicht von Belang. Sollten Bund und Länder ihre Kulturgüter vor einem atomaren GAU schützen wollen, so wären hier erweiternde Maßnahmen zum Katastrophenschutz von Nöten, denn bisher ist dieser extreme Fall nicht in den Katastrophenschutzmaßnahmen enthalten.

Relevanz:

Das Leben der Menschen steht an oberster Stelle, gefolgt von ihrer Lebensqualität. Diese wird zu einem Großteil durch die zahlreichen Kulturgüter geprägt. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) hat eine Liste der national wertvollen Kulturgüter zusammengestellt, die unter besonderem Schutz stehen. Alleine in der Bestandsaufnahme von Nordrhein-Westfalen befinden sich 195 aufgelistete Standorte von geschützen Kulturgütern. Die Datenbank der BKM umfasst unter anderem Gemälde, Skulpturen, Handschriften, frühe Drucke und Akten. Derlei Kulturgüter befinden sich auf aller Welt. Und auch aktive Atomreaktoren sind weit auf der Erde gestreut. Laut der Datenbank Statista gab es im November 2016 in insgesamt 30 Ländern Atomreaktoren. Alleine in den USA sind es 99 Stück. Für den Menschen stellt die Kultur einen Teil seiner Lebensqualität dar, eine Möglichkeit sich mit der eigenen Gesellschaft zu identifizieren. Kultur zu verlieren, bedeutet einen Teil der eigenen Geschichte zu verlieren. Darum ist es wichtig sich mit dem Schutz der Kultur zu beschäftigen.

Vernachlässigung:

In den Medien wird über den Aspekt des Kulturgutschutzes berichtet, der die Unterbindung des illegalen Handels, die Verbesserung der Rückgabemechanismen und die Stärkung des bestehenden Abwanderungsschutzes behandelt. Das neue Kulturgutgesetz vom 06.August 2016 war ein aktuelles Thema in den Medien. Am 12.Januar 2017 zog beispielsweise die Wochenzeitung Die Zeit eine Bilanz zum umstrittenen Gesetz („Kulturgutschutzgesetz – Aufgeheizte Situation“). Der Katastrophenschutz ist jedoch nie ein Thema in den Artikeln dort gewesen; ebenso wenig bei anderen Medien. Die letzten Artikel der Neuß-Grevenbroicher-Zeitung (20.12.2016 – „Länder: Hoher Aufwand für Kulturgutschutz“), vom Spiegel (18.02.2016 – „Kulturgutschutzgesetz – Wir müssen diesen wahnsinnigen Aderlass beenden“) und von der Welt (19.12.2016 – „Kulturgutschutz sorgt für Arbeit“), beziehen sich ebenso nur auf das Kulturgutschutzgesetz. Bei der Bild und bei der Taz sieht es genauso aus. Vor allem der Schutz der Kulturgüter vor einem atomaren GAU wird nicht erwähnt.

 

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Quellen:

Persönlicher Bericht des Informanten Alfred Kerger;

Email-Verkehr mit Sabine Cornelius, Landschaftsverband Rheinland;

Email-Verkehr und Telefonkontakt mit Sven Lindner, Bundesregierung für Kultur und Medien;

Telefonkontakt mit Wahid Samimy, Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe;

Telefonkontakt mit Friederike Langenbruch, Pressestelle des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit;

Email-Verkehr mit Tina Altmaye, Rheinisches Landesmuseum Trier;

Email-Verkehr mit Bärbel Auffermann, Neanderthal Museum;

Email-Verkehr und Telefonkontakt mit Elmar Kramer; Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen;
Email-Verkehr mit Markus Brüggen, Feuerwehr Neuss;

Email-Verkehr mit Ina Kortenjann, Bundesanstalt Technisches Hilfswerk;

Onlinerecherche auf: www.kulturgutschutz-deutschland.de, www.bundesregierung.de, www.kernenergie.de, www.wikipedia.de, http://de.statista.com, www.kulturland.rlp.de, www.land.nrw, www.bbk.bund.de, www.zeit.de; www.spiegel-online.de, www.welt.de, www.taz.de

Dokumente der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM); des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK); des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfahlen (MFKJKS); des Landesarchives Nordrhein-Westfahlen; des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit; des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfahlen (MKULNV), des Deutschen Museumsbundes, des Bundesamtes für Strahlenschutz

Kommentar:

„Theoretisch greift wohl die Haager Konvention, will man bauliche Kulturgüter vor Zerstörung schützen. Die Länder, d.h. die Mitglieder der KMK, können, meine ich, Objekte zur Aufnahme auf diese Liste beantragen. Im Falle eines Atomkrieges z.B. würde das aber wohl ohne Relevanz sein. Wie sollten da Kulturgüter geschützt werden?“

(Sabine Cornelius, Referentin für Kommunikation beim Landschaftsverband Rheinland)

„Für den atomaren GAU sieht der Katastrophenschutzplan beispielweise für die Umgebung kerntechnischer Anlagen in aller erster Linie Maßnahmen zum Bevölkerungsschutz vor, um vorrangig unmittelbare Folgen der Auswirkungen eines kerntechnischen Unfalles auf die Bevölkerung zu verhindern oder zu begrenzen. Die Evakuierung wertvoller Kulturgüter hat in diesem Falle keine vorrangige Priorität.“

(Tina Altmayer, Referentin für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit beim Rheinischen Landesmuseum Trier)