2017: Top 6

Die Rolle des Westens im Jemen–Konflikt

Der Nahe Osten ist nach wie vor ein Herd für politische Konflikte. Es gibt dort viele Länder, die sich derzeit in einem Krieg oder in einem kriegsähnlichen Zustand befinden, nicht nur mit dem sogenannten islamischen Staat, sondern auch mit anderen Staaten oder sogar der eigenen Bevölkerung. Was in Syrien passiert, hören wir jeden Tag, doch warum wird so wenig über die anderen schwelenden Krisenherde des Nahen Ostens wie den Jemen, berichtet? Seit März 2015 findet im Jemen, dem ärmsten Land des Nahen Ostens, eine durch Saudi-Arabien angeführte militärische Intervention statt: mit Unterstützung weiterer sunnitischer arabischer Staaten und den USA, Großbritannien und Frankreich fliegt Saudi-Arabien Luftangriffe gegen die schiitisch Huthi-Rebellen. Nach Angaben der UN und Menschrechtsorganisationen hat der Konflikt bereits tausenden Zivilisten das Leben gekostet und Millionen in Hungersnot gestürzt. Es wird von Kriegsverbrechen, wie der Bombardierung von Krankenhäusern und dem Einsatz von Streubomben, berichtet. Deutschland ist Waffenlieferant für Saudi-Arabien. Es handelt sich um ein vernachlässigtes Thema, weil die Rolle westlicher Länder im Jemen-Konflikt kaum in den Medien diskutiert wird.

Sachverhalt & Richtigkeit:

Ein möglicher Grund dafür, dass westliche Medien wenig über den Jemen berichten, ist, dass – anders als im Syrien-Konflikt – die Konfliktparteien Verbündete des Westens sind: an der Seite der Saudi-Arabischen Streitkräfte bekämpfen die USA die rebellierenden Huthi-Rebellen. Durch die Präsenz deutscher Verbündeter im Konflikt findet in der politischen Elite Deutschlands eine weniger kritische Auseinandersetzung statt als beim Syrien-Konflikt. Die Medien haben somit keine politische Debatte, die sie abbilden können – von sich aus stoßen sie den Diskurs allerdings auch zu selten an. Vereinzelten Medien-Berichten zufolge bestehen für die Beteiligung der USA am Konflikt zwei Motive: erstens, einer vermeintlichen Einflussnahme des Iran auf die schiitischen Rebellen entgegenzuwirken und zweitens, Saudi-Arabien als Partner im Kampf gegen den IS beizubehalten.
So bewertet auch Uwe Krüger, Einreicher des Themas und Diplom-Journalist, die Sachlage. Ihm fiel die Lücke in der Berichterstattung während einer Recherche für sein Buch „Mainstream“ auf. Journalist und Islamwissenschaftler Albrecht Metzger, ehemaliger Nahost-Korrespondent für DIE ZEIT, bestätigt die These des Einreichers. Er sieht eine klare Entwicklung in der Berichterstattung seitdem der Konflikt im Jemen seinen Anfang nahm. Wie in vielen Staaten der arabischen Welt erhob sich auch im Jemen Anfang 2011 die Bevölkerung gegen die Regierung um Präsident Ali Abdullah Salih. „Die westliche Presse war begeistert. Endlich Demokratie im Nahen Osten.“, fasst Metzger die Berichterstattung zusammen. Doch es gerieten andere Themen in den Vordergrund, allen voran der Bürgerkrieg in Libyen. Metzger begründet das unter anderem damit, dass der Jemen im Vergleich zu Libyen deutlich weiter entfernt von Deutschland ist und deshalb das Thema Libyen eine höhere Relevanz besaß. Als es im Jemen schließlich im März 2015 zur Militärintervention Saudi-Arabiens kam, berichteten darüber auch die deutschen Medien. Metzger ist jedoch der Meinung, dass der Konflikt aufgrund der Beteiligung der Amerikaner – sowie Franzosen und Briten – bewusst kleingehalten wurde. „Der Jemen-Konflikt ist unangenehm“, sagt Metzger. Seiner Ansicht nach passiert im Jemen das Gleiche wie in Syrien. Nur im Jemen-Konflikt werden die Kriegsverbrechen von deutschen Verbündeten begangen.Marie-Christine Heinze, Vorsitzende des CARPO – Center for Applied Research in Partnership with the Orient, hat hingegen eine andere Theorie. Sie sieht nicht primär die politischen Lagerkämpfe zwischen Ost und West als Auslöser für die lückenhafte Berichterstattung. Ihrer Meinung nach liegt diese in der deutschen Medienlandschaft begründet. In Syrien würden sich die deutschen Journalisten besser auskennen, da das Land näher an Deutschland liegt und man bis vor kurzer Zeit noch ungehindert dorthin reisen konnte.
Des Weiteren sieht Heinze vor allem die Flüchtlingskrise für die selektive Berichterstattung verantwortlich. Denn während tausende Menschen aus Syrien die Flucht nach Deutschland gewagt haben, so gab es im letzten Jahr nur 578 Asylanträge von jemenitischen Staatsbürgern (Statistik des Bundesamtes für Migration). Wie auch Metzger bezeichnet Heinze das Thema Jemen für Deutschland als „unangenehm“. Es gibt nämlich eine große Kontroverse bezüglich der deutschen Rolle in diesem Konflikt. Denn Deutschland ist der letzte bilaterale Entwicklungspartner des Jemen und bezahlt jährlich hohe Beträge an Entwicklungshilfe. Auf der anderen Seite jedoch ist Saudi-Arabien ein wichtiger Wirtschafts- und Energiepartner für Deutschland. „Deutschland versucht es allen Recht zu machen.“, fasst Heinze die Rolle der Bundesrepublik zusammen. Man möchte sich beide Länder als Partner erhalten. Gerade die Saudis sind aufgrund der Öl-Lieferungen ein wichtiger Verbündeter. Generell wünscht sich Marie-Christine Heinze eine besser priorisierte Berichterstattung. „Die deutsche Rolle in diesem Konflikt muss kritisch durchleuchtet werden.“, fordert sie. Vor allem in Hinblick auf Waffenlieferungen an die arabischen Verbündeten.

Relevanz:

In Deutschland betrifft das Thema am direktesten wohl die Menschen, die aus dem Krisengebiet nach Deutschland geflohen sind. Da die Zahlen der nach Deutschland fliehenden Jemeniten jedoch gering sind, besitzt das Thema innenpolitisch keine große Schlagkraft.

Doch gerade auch alle deutschen Bürger betrifft das Thema. Kaum jemand weiß genau, inwieweit die Bundesrepublik tatsächlich in diesen Konflikt involviert ist.

Nicht zuletzt vermittelt die eindimensionale Berichterstattung über die Lage im Nahen Osten aber ein falsches Bild über die Gesamtlage dort. Das Thema Syrien ist omnipotent und überspielt in allen Medien die im Gesamten prekäre Lage im Nahen Osten, in der es neben dem syrischen Kriegsschauplatz auch andere weltpolitisch höchst relevante politische Konflikte gibt.

Vernachlässigung:

Mit Beginn des arabischen Frühlings 2011 nahmen auch die deutschen Medien das Thema schnell auf. Dominierend waren aber auch hier bereits die Konflikte in Libyen, Ägypten und Tunesien. Der Jemen kam nur vereinzelt zur Sprache. Zwar wurde über die wichtigsten Entwicklungen berichtet, so zum Beispiel die Abdankung des Präsidenten Salih und die Einsetzung des neuen Präsidenten (Tagesschau). Doch bis zum Eingreifen des saudischen Militärs im März 2015 gab es kaum Berichterstattung über die Vorgänge im Jemen. Erst mit Beginn der Luftangriffe bekam der Jemen Beachtung in der deutschen Medienlandschaft (zum Beispiel Tagesschau, Spiegel, Zeit). Bis ins Jahr 2016 hinein wurde in unregelmäßigen Abständen über den Jemen berichtet. Einzelne Großereignisse wie zum Beispiel die Bombardierung von Krankenhäusern oder einem Markt mit vielen zivilen Opfern wurden behandelt (z.B. Spiegel, Focus Online). Doch ab dem ersten Quartal 2016 verlor sich die Berichterstattung unter den immer neuen Schreckensmeldungen aus Syrien und dem allgegenwärtigen Terror des Islamischen Staates, der nun auch auf Europa übergegriffen hatte. Explizite Lücken in der Berichterstattung über den Jemen-Konflikt werden von den Medienkritikern und ehemaligen NDR-Mitarbeitern Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam in der Berichterstattung der Tagesschau gesehen: in verschiedenen Programmbeschwerden weisen sie unter anderem darauf hin, dass über Menschenrechtsverletzungen im Jemen nicht berichtet wurde.

Insgesamt tauchte der Jemen nur sporadisch in der Medien-Berichterstattung auf. Erst im letzten Quartal 2016 und im Januar 2017 wird über die Krise im Jemen bspw. von DIE ZEIT und ARD-Weltspiegel sowie von Tagesspiegel, Bild und Süddeutsche unter dem Titel „Der vergessene Krieg“ berichtet. Zudem finden sich bspw. bei Spiegel, bei Frankfurter Rundschau sowie DIE ZEIT vereinzelt Berichte, die sich kritisch mit der Rolle des Westens im Konflikt beschäftigen.

 

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Quellen:

Telefonat mit Uwe Krüger

Telefonat mit Albrecht Metzger

Telefonat mit Marie-Christine Heinze

E-Mail-Verkehr und Telefonate mit der Pressestelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge

E-Mail-Verkehr und Telefonate mit Reporter ohne Grenzen

Internetrecherche auf:

www.wikipedia.de, www.focus.de, www.web.archive.org, Google News, www.zdf.de, www.zeit.de, www.spiegel.de, www.sueddeutsche.de,

Aussagen von Friedhelm Klinkhammer und Volker Bräutigam unter anderem zu finden auf: https://publikumskonferenz.de/forum/viewtopic.php?t=1630&p=5716

Kommentar:

„Man müsste schon sehr mutig sein um gegen das Thema Syrien zu schreiben“

Albrecht Metzger

 

„Wenn sie mich fragen würden, wüsste ich nicht was im Jemen los ist.“

Albrecht Metzger

 

„Die deutsche Bevölkerung ist übersättigt von Konflikten aus der arabischen Welt.“

Marie-Christine Heinze

 

„Die deutsche Rolle in diesem Konflikt muss kritisch beleuchtet werden.“

Marie-Christine Heinze