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Deregulierung von Au-Pair-Agenturen in Deutschland durch EU-Recht 

Au-pair-Mädchen und -Jungen werden oft als billige Arbeitskräfte ausgenutzt. Bis 2002 gab es in Deutschland eine Lizenzpflicht für Au-pair-Agenturen, seitdem werden sie aber nicht mehr staatlich kontrolliert. Die heute etwa 300 Agenturen mit Sitz in Deutschland müssen nur für 30 Euro einen Gewerbeschein erwerben und haben keine Auflagen zu befürchten. Dieser Zustand hat gravierende Folgen für Au-pairs: Leidensgeschichten gibt es reichlich. Das Thema wurde 2016 in einem Kurzfilm der ARD aufgegriffen und danach in einigen Medien weiter behandelt. Die fehlende staatliche Kontrolle wird erwähnt, aber es wird nicht auf den Grund der weggefallenen Lizenzpflicht eingegangen: Sie fiel 2002 der Liberalisierung des EU-Arbeitsmarkts zum Opfer. Dass das EU-Recht als Ursache der fehlenden Kontrolle von Au-pair-Agenturen vernachlässigt wird, kann mit einer Scheu besonders von politisch orientierten Journalisten zusammenhängen, Kritik an der zunehmend gefährdeten EU zu üben.

Sachverhalt & Richtigkeit:

Bis 2002 gab es in Deutschland eine Lizenzpflicht für Au-pair-Agenturen. Diese wurde jedoch aus unbekannten Gründen abgeschafft. Nun werden solche Agenturen (derzeit 300 mit Sitz in Deutschland) nicht mehr staatlich kontrolliert. Dies hat zu Folge, dass die Arbeitskräfte ausgebeutet werden. Au-pair-Mädchen und -Jungen leiden während ihres Aufenthalts oft an physischen Schäden. Auch nachdem sie in ihre Heimat zurückgekehrt sind, können sie das Geschehene nur schwer verarbeiten. Berichte in den Medien „Zeit.de“, „tz-usingen.de“ und „NDR.de“ bestärken diese Tatsachen und beschreiben, wie die Au-pair-Mädchen und -Jungen als billige Arbeitskräfte gehalten und nebenbei skrupellos von den Gastfamilien ausgebeutet werden. Ein weiterer Beweis dafür ist der Fall eines rumänischen Au-pair-Mädchens, das sich nach langen Qualen durch ihre Gasteltern das Leben nahm. Viele der Au-pair-Mädchen und -Jungen nehmen die Strapazen der schlechten Vermittlung ihrer Agenturen und den schlimmen Aufenthalt jedoch in Kauf. Das erklärt sich dadurch, dass die Eltern der Jugendlichen sehr viel Geld dafür bezahlen, dass ihre Kinder Erfahrungen im Ausland sammeln können. Durch das Wegfallen der Kontrolle haben die Au-pair-Mädchen und -Jungen aber keine Anlaufstelle für Beratung/Betreuung, wenn es zu unangebrachten Vorkommnissen kommt. Sie können sich nur an Vereine wenden, die meist schwer zu finden sind. Außerdem endet die Suche häufig erfolglos, da Sprachbarrieren im fremden Land vorhanden sind. Ein weiterer negativer Punkt, der mit der Nicht-Kontrolle einhergeht, ist, dass die Au-pairs nicht krankenversichert sind. Durch die fehlende Kontrolle werden aber nicht nur Au-pair-Mädchen und -Jungen ausgenützt, sondern ebenso mögliche Gasteltern. Internetagenturen schicken wahllos Au-pair-Mädchen und -Jungen nach Deutschland, deren Angaben zu ihrer Person nicht mit der Realität übereinstimmen, also gefälscht sind. Häufig werden die Jugendlichen daher auch als jemand anderer ausgegeben, damit sie so schneller vermittelt werden können. Daraus folgt, dass unpassende Au-pair-Mädchen und -Jungen, die zum Beispiel keine Erfahrung mit Kindern vorzuweisen haben, trotzdem nach Deutschland geschickt werden. Des Weiteren konnte durch die Recherche herausgefunden werden, dass sobald ein Visum eines Au-pair-Mädchens oder -Jungens vorhanden ist die staatliche Kontrolle endet. Selbst wenn das Visum abläuft greift niemand ein. Die Au-pair-Mädchen und -Jungen halten sich danach also illegal im Land auf. Die hier angeführten Punkte beweisen eindeutig, dass es durch die fehlende Kontrolle zu einem Qualitätsverlust kommt. Die Problematik der Au-pair-Mädchen und -Jungen wurde in einem Film der ARD aus dem Jahr 2016 aufgegriffen. Im Besonderen werden die Missstände der Au-pairs aufgezeigt und thematisiert. Der Film macht weiterhin darauf aufmerksam, dass es durch den Wegfall der Lizenzpflicht und der dadurch einhergehenden staatlichen Nicht-Kontrolle, zur Verletzung der Grundrechte der Menschen kommt. Auch die KOK (Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Frauenhandel) thematisiert in ihrer Stellungnahme vom 29.05.2013 das soeben genannte Problem der Abschaffung und vertritt die Meinung, dass die Wiedereinführung sehr empfehlenswert wäre, da unseriösen Vermittlungsagenturen und Privatpersonen entgegengewirkt werden könnte. Zusätzlich wäre das Angebot überschaubarer und transparenter (vgl. KOK, 2013). Es stellt sich hier also die Frage, weshalb die EU solch eine wichtige Lizenz, die Au-pair-Mädchen und -Jungen schützt, abschafft. Durch die Recherche konnte dafür ein Erklärungsversuch gefunden werden, jedoch ist dieser nicht bestätigt. Neumann spekuliert nämlich in einem Artikel im „Spiegel-Magazin“, dass Rot/Grün an der Abschaffung schuld sei (vgl. Neumann, 2013). Die fehlende Kontrolle und die daraus resultierenden Zustände grenzen an moderne Sklaverei. Es kann nicht im öffentlichen Interesse liegen, dass es in Deutschland zu so etwas kommt. Der Staat macht durch die fehlende Lizenzpflicht die Umsetzung solcher Schandtaten möglich. Es sollte klar dagegen vorgegangen werden.

Relevanz:

Die Tabelle zeigt deutlich, dass immer mehr Mädchen und Jungen die Möglichkeit „Au-pair“ nutzen und so ein Jahr ins Ausland gehen. Aus Sicht der KOK kommen jährlich zwischen 10.000 – 30.000 Au-pair-Mädchen und -Jungen nach Deutschland. Im Jahr 2015 waren es genau 12.000 (siehe Tabelle). Eine Studie der KOK beweist die Relevanz des Themas. Die Ergebnisse zeigen nämlich, dass zehn Beratungsstellen in 3,5 Jahren 56 Fälle von Ausbeutung der Arbeitskraft und sexueller Belästigung der jungen Frauen meldeten (vgl. KOK, 2013). Überwiegend gaben die zehn Fachberatungsstellen an, dass die Mädchen über unbekannte Agenturen oder private Vermittlungen sowie Internetportale vermittelt wurden. Diese Agenturen besitzen meist kein Gütesiegel. Generell wird in den Medien über die Thematik „Au-pair“ berichtet. Nur der Grund der Gesetzesänderung zur Abschaffung der Kontrollen, der durch den Beitritt zur EU aufkam, wird nicht angesprochen.

Vernachlässigung:

Die Recherche zu diesem Thema begann mit dem in der ARD ausgestrahlten Film „Billigkraft statt Babysitter Au-pairs in Deutschland“ (vgl. ARD, 2016). Der Kurzfilm handelt von zwei Frauen, Frau Susanne Flegel und Frau Maritta Grammatopoulos, die selbst eine Au-pair-Agentur leiten, Mädchen in Not helfen und sie aus den Gastfamilien holen. Der Film zeigt die verschiedenen Leidenswege der Mädchen und lässt die Zuschauer hinter die Haustüren der Gastfamilien blicken. Die beiden Frauen können sich nicht erklären, warum der Staat die Au-pair-Agenturen seit 2002 nicht mehr kontrolliert und sich nun in diesem „rechtsfreien Raum“ niemand mehr zuständig für deren gerechte Unterbringung fühlt. Die Antwort auf die Frage, warum das EU-Recht keine Kontrollen vorsieht, bleibt auch im Film offen. Im Interview mit dem Pressesprecher der Bundesagentur für Arbeit, Herr Jürgen Wursthorn, wird diese Frage nämlich gestellt, aber nicht beantwortet. Er weist im Interview alle Schuld von sich. Nach der Meinung der Bundesagentur für Arbeit ist die vermittelnde Agentur selbst für die Kontrolle zuständig. Auf die Frage, wer für die durch eine Internetagentur vermittelten Au-pair-Mädchen und -Jungen zuständig ist, weicht Herr Wursthorn ebenfalls aus und erklärt, dass bis jetzt keines der Mädchen zu ihnen gekommen wäre und sich beschwert hätte. Die Bundesagentur für Arbeit erteilt nur die Genehmigung für den Aufenthalt.
In der Datenbank „LexisNexis“ wurden zum Begriff „Au-pair“ 299 Artikel in deutscher Sprache gefunden. Von diesen 299 Artikeln berichteten nur wenige über das Au-pair-Wesen an sich. Der Großteil der Artikel hat mit Au-pairs nichts zu tun. Fünf Artikel (drei davon im „Hamburger Abendblatt“ und zwei in der „Frankfurter Neue Presse“) beziehen sich auf den ARD Film. Im „Hamburger Abendblatt“ vom 18.04.16 wird beispielsweise in einem Satz das Thema angesprochen: „Aber Niebergs Film wirft die dringende Frage auf, ob nicht zum Teil auch das System mitverantwortlich ist für das rechtlich oft ungeklärte Arbeitsverhältnis bei Au-pair-Aufenthalten, das sich jeder staatlichen Kontrolle entzieht.“ (Jacquemain, 2016) Gründe für die Gesetzesänderung sind hier, wie auch in den anderen beiden Artikeln des „Hamburger Abendblatts“, nicht angeführt.
In der „Frankfurter Neue Presse“ („Usinger Neue Presse“) erschien am 16.04.2016 ein Artikel, in welchem Frau Flegel im Interview bestätigt, was sie im Film bereits angesprochen hatte: „Untergebracht im Privathaushalt, befinden sich die Mädchen in Abhängigkeit – das Arbeitsverhältnis entzieht sich jeder staatlichen Kontrolle“. (Nickoll, 2016). Auf „Springer Link“ erschienen nach Eingabe der verschiedenen Suchbegriffe 77 Artikel die nicht im Entferntesten mit dem Thema etwas zu tun gehabt hatten. Nach Eingabe der Über-schrift des gesamten Titels in die Suchleiste wurden 51 Artikel gefunden, die größtenteils schon im ersten Suchlauf aufkamen und das Thema wieder nicht konkret behandelten. Einzig der Artikel „Am Arbeitsplatz Privathaushalt“ (vgl. Hess, 2009) handelte von einem Mädchen, das von ihren Plänen als Au-pair ins Ausland zu gehen, berichtete. Im Suchdurchlauf wurden viele Artikel zum Thema Migration und Integration in die Arbeitswelt als Dienstmädchen gefunden.
Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete 2007 ebenfalls über die fehlende Lizenz: „Seit 2002 brauchen Au-pair-Agenturen keine Lizenz vom Arbeitsamt für eine Vermittlung und müssen sich somit nicht an Richtlinien halten. Manche Internetanbieter, die mit Mädchen global und schnell handeln, als seien sie Produkte, überlassen die Au-pairs nach der Vermittlung allein ihrem Schicksal.“ (Magerl, 2007) Diese Aussage bestätigt, die bereits im ARD Film getätigte Ausführung des Pressesprechers, der der Meinung ist, dass die Kontrolle durch Agenturen selbst durchgeführt werden sollte.
„Der Spiegel“ berichtete 2003 von Ramona Radulovici, 21, die sich nach langen Strapazen durch ihre Gastfamilie das Leben nahm. Beamte hätten einschreiten können, aber ihre behördliche Pflicht wäre es nicht gewesen. Der Spiegel berichtete weiterhin: „Im März 2002 liberalisierte der Bundestag die Vermittlung junger Familienhelferinnen aus dem Ausland. Während der Kontakt zwischen einer Gastfamilie und den Au-pairs bis dahin nur über geprüfte und zugelassene Agenturen oder karitative Verbände zu Stande kam, die eine spezielle Lizenz der Bundesanstalt für Arbeit besaßen, kann seither jedermann eine Au-pair-Vermittlung gründen. Voraussetzung: ein Gewerbeschein, und der kostet höchstens 30 Euro.“ (Neumann, 2003) Auch die „Mitteldeutsche Zeitung“ erläutert den Fall Romana Radulovici. Die Autorin geht hier auf den Verein „Au-pair Society“ ein, der ein gleichnamiges Gütesiegel bereitstellt. Dieser Verein verlangt unter anderem einen Au-pair Ausweis, der den Mädchen und Jungen ausgehändigt wird. Seriöse Agenturen könne man auch daran erkennen, dass sie eine Partneragentur in den Herkunftsländern der Au-pairs haben und Sprachkenntnisse sowie die persönliche Eignung zu diesem Job überprüfen. Werner geht kurz in einem weiteren Artikel zu dieser Thematik auf die fehlende Kontrolle ein: “Vor einem Jahr, im März 2002, ist der Au-Pair-Markt liberalisiert worden.“ (Werner, 2003). Die Gründe für die Deregulierung durch das Inkrafttreten des EU-Rechts, werden aber auch in diesem Bericht nicht angesprochen.
Die „Taz“ berichtete 2005 von einem neuen Gütezeichen, das ab jetzt Standards sichern soll. Das „Gütezeichen Au-pair“ erhält nur, wer ein striktes Regelwerk befolgt, welches höchstens sechs Stunden Arbeit und ein Taschengeld von 260 Euro pro Monat voraussetzt. Auch in diesem Artikel wird kurz auf die fehlende Lizenzpflicht eingegangen. Der Grund für das Wegfallen dieser Pflicht wird wieder außer Acht gelassen. „Noch bis 2002 war das anders. Damals brauchte jede Au-pair-Agentur eine Lizenz des Landesarbeitsamts. Dann aber änderte sich die Rechtslage. Eine Genehmigung ist seither nicht mehr nötig. Keine übergeordnete Instanz prüft, ob die Agentur Mindeststandards einhält.“ (Schmitt, 2005)
Das Gütezeichen „RAL“ kann die Lizenzpflicht zwar nicht ersetzen, da es keinen Anbieter zwingt die Regeln einzuhalten, jedoch macht es den Markt transparenter. Die Familien und auch die Au-pairs werden vor dem Erhalt des Gütezeichens geprüft. Noha Gottschalk beschreibt im September 2016 in „Zeit.de Campus“ verschiedene Geschichten über Au-pair-Mädchen und -Jungen. Er geht nicht auf die fehlende Lizenzpflicht und deren Gründe ein, sondern macht auf den Leidensweg der Mädchen und Jungen aufmerksam.
In einem kurzen Artikel auf „NDR.de“ bezieht sich die Autorin Pippa Nachtnebel auf eine Kurzreportage (ebenfalls von Frau Nachtnebel), die im „NDR“ 2014 zu sehen war. Die Reportage zeigt erneut, wie schlecht manche Mädchen behandelt werden und wie schwer es ist Hilfe zu bekommen. In der Reportage wird die fehlende Kontrolle nicht angesprochen, jedoch in ihrem Artikel kurz angeschnitten. „2002 fiel die Lizenzpflicht für Au-pair-Agenturen der Liberalisierung des EU-Arbeitsmarktes zum Opfer. Seither tummeln sich eine Vielzahl von Au-pair-Vermittlern im Internet. Statt einer individuellen Auswahl und Begutachtung bieten sie einzig eine Plattform, um Kontakte zu knüpfen.“ (Nachtnebel, 2014).
Auf der Internetseite „kulturies.com“ beschreibt die Autorin Liehr im Jahr 2013 zuerst die positiven Seiten des Au-pair Programms und für welche Zwecke es eigentlich genutzt werden sollte. Sie geht ebenfalls im weiteren Text auf das Jahr 2002 ein, bis zu jenem Zeitpunkt an dem ein Visum erforderlich war und die Agenturpflicht vorherrschte. Das Wegfallen der Lizenzpflicht stellt für sie einen erheblichen Qualitätsverlust des Jugendprogrammes dar. Warum ein Gesetz zur Kontrolle der Agenturen nicht nötig ist, wird auch in diesem Artikel nicht aufgezeigt. Liehr beschreibt im weiteren Verlauf den Zusammenschluss verschiedener Au-pair-Agenturen in nationalen und internationalen Fachverbänden, die nun den Schutz einer geprüften und gezielten Vermittlung gewährleisten und listet die Namen dieser Verbände und für was sie stehen auf. Auch in diesem Artikel wird auf das neu geschaffene „RAL“ Gütesiegel eingegangen. Liehr schreibt, dass der Bundesverband seit 2013 versucht politische Entscheidungsträger für dieses Thema zu sensibilisieren. Der Erfolg bleibt dabei jedoch bis jetzt aus.

Zusammenfassend kann zu diesem Thema gesagt werden, dass der Beitritt Deutschlands zur EU der Grund für die Gesetzesänderung war, jedoch nicht der Grund, dass das EU-Recht keine Kontrolle von Au-pair-Agenturen mehr vorsieht. In den soeben angeführten Artikeln sowie im Film der ARD wird die fehlende Kontrolle zwar angesprochen, jedoch werden keine Gründe für das Wegfallen der Lizenzpflicht genannt. Diese Problematik scheint bis heute nicht geklärt und wurde daher auch nicht in den Medien aufgegriffen. Das Thema kann also eindeutig als vernachlässigt eingestuft werden.