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Simulierte Videoüberwachung: Wenn der Betriebsrat nichts mehr zu melden hat

Niemand fühlt sich gerne überwacht – auch nicht am Arbeitsplatz. Der Beobachtung von Mitarbeitern mit Überwachungskameras sind deshalb enge Grenzen gesetzt. Diese gelten aber nicht, wenn es sich nur um Kamera-Attrappen handelt. Laut einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern ist für den Einsatz von Attrappen keine Zustimmung des Betriebsrats erforderlich. Diese Gerichtsentscheidung vom November 2014 wirft die Frage auf, inwieweit Rechte des Betriebsrats und der Mitarbeiter berührt werden, auch wenn sie die Überwachung nur vermuten oder befürchten müssen. Die Datenschutzgesetze der einzelnen Bundesländer sind in dieser Hinsicht sehr unterschiedlich. Über das Urteil und seine Folgen wurde nur unzureichend berichtet.

Sachverhalt & Richtigkeit:

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat dieses Jahr beschlossen, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats vor der Installation von Kameraattrappen nicht mehr erforderlich ist. Der Geltungsbereich des § 6b BDSG umfasst nur echte Überwachungsanlagen in Unternehmen, die technisch dafür geeignet sind Videomaterialien aufzunehmen. Auf der Internetseite des Datenschutzbeauftragten von Mecklenburg-Vorpommern können die Orientierungshilfen des Düsseldorfer Kreises zum Thema „Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen“ online abgerufen werden. Diese Orientierungshilfe informiert darüber, dass Menschen überwacht werden dürfen, soweit der Überwachungszweck keine schutzwürdigen Interessen der Betroffenen überwiegt.[1] Bei der Anbringung von Überwachungskameras im Unternehmen ist ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG gegeben, wenn die Einrichtung eine Überwachung über die Mitarbeiter bezweckt. Der Betriebsrat hat die Aufgabe, die Interessen der Arbeitnehmer und besonders ihr Persönlichkeitsrecht zu verteidigen. Mitarbeiter fühlen sich hingegen bei beiden Optionen überwacht, sowohl bei der Installation von Videokameras als auch bei Kameraattrappen.[2]

Die Presse hat sich bis jetzt mit diesem Thema nicht detailliert befasst, wie es sich nach der Recherche in der Datenbank „Wiso-net“ ergeben hat. Nur die westfälische Regionalzeitung „Rheinische Post“ hat einen kurzen Artikel dazu verfasst. Im Artikel wird über einen Gerichtsfall berichtet, nach dem ein Klinikbetreiber von seinem Betriebsrat verklagt wird.[3] Grund dafür sei die Einrichtung einer Überwachungsattrappe am Außengebäude ohne die Mitbestimmung der Mitglieder dieses Rats. Die Gerichtsentscheidung sei zugunsten des Klinikbetreibers gefallen. Detaillierte Information zu diesem Fall gibt es auf der Internetseite  „Landesrecht Mecklenburg-Vorpommern“, wo die vollständige Gerichtsentscheidung unter dem Aktenzeichen 3 TaBV 5/14, LAG zur Verfügung steht. Die Gründe für das abgelehnte Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats werden im zweiten Teil der Gerichtsentscheidung erläutert. Der Klinikbetreiber bekam Recht, da die Kamera-Attrappen ungeeignet sind, die Handlungen der Mitarbeiter zu überwachen und aufzunehmen.[4]

Für objektive Übersicht zu diesem Thema, wurden Expertenmeinungen aus drei verschiedenen Gebieten eingeholt. Die befragten Experten haben wichtige Informationen gegeben, die die Triftigkeit des Themas bestätigt haben.

Relevanz:

Das Thema „Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Kamera-Attrappen“ ist von großer Bedeutung für viele Juristen und Datenschutzbehörden. Daniela Kirf-Busenbender, Rechtsanwältin in Hamburg, deren Schwerpunkte „Datenschutz“ und „Arbeitsrecht“ sind[5], hat einen informativen Artikel zu diesem Thema auf der Internetseite „Datenschutzbeauftragter INFO“ verfasst. Als externe Datenschutzbeauftragte habe sie, bereits viele Fälle im Spannungsfeld zwischen Betriebsleiter und Betriebsrat lösen können. Die Rechtsanwältin ist der Meinung, dass Kameraattrappen keinen Überwachungsdruck auf die Mitarbeiter auslösen, es sei denn, ihre Persönlichkeitsrechte sind verletzt. Für die Einhaltung dieser Rechte ist jeder Betriebsrat selbst verantwortlich.

Ein Vertreter des Datenschutzbeauftragten in Mecklenburg-Vorpommern, Rolf Hellwig, hat sich auch zum Thema „Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Überwachungsattrappen“ geäußert. Er hat die technischen Besonderheiten der Kamera-Attrappe erläutert. Diese Scheingeräte sind ungeeignet, Videoaufzeichnungen auszuführen. Trotzdem simulieren diese Attrappen die Funktionen der Videokamera von außen. Deshalb sollen diese Attrappen eine Abschreckungswirkung auf die Mitarbeiter haben. Problematisch in diesem Fall wäre, ob die Attrappen von den üblichen Überwachungskameras zu unterscheiden sind. Zur Gerichtsentscheidung 3 TaBV 5/14 hat er kommentiert, dass diese technischen Unfähigkeiten der Überwachungsattrappen auch darin erwähnt sind.

Noch tiefere Information über den o.g. Gerichtsfall gibt der Pressesprecher des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern, Tilman Anuschek. Es ist interessant, ob die Entscheidung Kamera-Attrappen ohne die Zustimmung des Betriebsrats zu installieren, nur für Mecklenburg-Vorpommern gültig ist und aus welchen Gründen diese getroffen wurde. Herr Anuschek kommentiert den § 87 BetrVG, der die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats regelt, als ein „rechtspolitisch umkämpftes Gesetz“, das aber auch mögliche Abweichungen bezüglich der Beteiligungsrechte des Betriebsrats haben könnte. Die Gerichtsentscheidung zum Klinikbetreiber-Fall unterstützt er mit den gleichen Argumenten, dass die Attrappen keine Videomaterialien aufzeichnen können. Diese Scheingeräte sollten normalerweise nicht in/vor Personalräumen, wo Mitarbeiter ein- und rausgehen eingerichtet werden. Deshalb bleibt noch die offene Frage, ob eine Überwachungsattrappe eine verhaltenssteuernde Wirkung im Sinne des §87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auslösen kann. Der Betriebsrat hat eine beschränkte Vertretung der Interessen des Personals, sodass Fragen bezüglich der technischen Einrichtung der Attrappen in den entsprechenden Räumen nicht berücksichtigt werden.

Die Installation von Überwachungsattrappen ist nicht in jedem Bundesland gleich gesetzlich geregelt. Frau Cornelia Goecke, Vertreterin des Hamburgischen Datenschutzbeauftragten, gibt den Hinweis, dass der Einsatz von diesen Attrappen im Landesdatenschutz Mecklenburg-Vorpommern und im BDSG nicht geregelt ist. Das unterscheidet die Lage von dieser im Bundesstaat Hamburg. Im HmbDSG ist der Einsatz von Überwachungsattrappen in den §§ 2, 30 Abs. 1, 3, 8, 9 geregelt.[6] Auf der Internetseite des Hamburgischen Datenschutzbeauftragten kann man ein Formular finden, in dem die Art und der Zweck der Überwachung gewählt und ihr Einsatz begründet werden soll.[7] Auf die Frage, ob eine Genehmigung der Polizei vor der Installation der Attrappen erforderlich ist, hat sie negativ geantwortet.

Im Laufe meiner Recherche entstand die Frage, ob die Kamera-Attrappen die Täter vor Straftatbegehungen abschrecken und somit die normalen Überwachungskameras in diesem Sinne ersetzen könnten. Der Hamburger Polizeiöffentlichkeitssprecher, Herr Christian Pohlmann, ist der Meinung, dass dies von verschiedenen Faktoren wie die Steuerungs- und Planungsfähigkeit des Täters abhängig ist. Deshalb kann man sich in solchen Fällen nicht immer auf die Kamera-Attrappen verlassen.

Aus den vorliegenden, ausführlichen Argumenten der befragten Behörden stellt sich heraus, dass die Diskussion zum Thema „Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anbringung von Kamera-Attrappen“ strittig und von großer Bedeutung für die betroffenen Personen ist.

Vernachlässigung:

Über den Klinikbetreiber-Fall und die Besonderheiten der Kamera-Attrappen habe die Presse bis heute kaum berichtet, weshalb man dieses Thema als vernachlässigt bezeichnen kann. Einen Artikel dazu wurde nur von der Regionalzeitung „Rheinische Post“ veröffentlicht. Auf diesen Artikel stößt man nach der Eingabe der Schlüsselwörter „Mecklenburg-Vorpommern“, „Mitbestimmungsrecht“, „Video“, „Überwachung“ und „Betriebsrat“ in der Datenbank „Wiso-Net“. Der Informationsmangel unter der Öffentlichkeit könnte ein negatives Ergebnis haben, da viele Arbeitnehmer sich oft unter Überwachungsdruck befinden. Wie der Artikel über den Klinikbetreiber berichtet, wissen nicht alle, unter welchen Voraussetzungen Überwachungsattrappen installiert werden sollten. Aus diesen Gründen hat z.B. der Betriebsrat des Klinikums den Betreiber beim Gericht verklagt, ohne zu wissen, dass es sich um ein Scheingerät handelt. Die breitere Berichterstattung zu diesem Thema in der Presse könnte zur künftigen Vermeidung solcher Konflikte im Arbeitsfeld zwischen Betriebsleitern und Betriebsräten führen.

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Quellen:

[1] vgl. Düsseldorfer Kreis 2014. OH „Videoüberwachung durch nicht öffentliche Stellen“

[2] vgl. Dr. Datenschutz 2015: „Videoüberwachung: Wenn der Betriebsrat nichts zu melden hat“,  https://www.datenschutzbeauftragter-info.de/videoueberwachung-wenn-der-betriebsrat-nichts-zu-melden-hat/

[3] vgl. o. V. 2015: o. T. https://www.wiso-net.de:443/document/BGM__20150425014731000043364749

[4] vgl. LAG MV v. 12.11.2014, 3 TaBV 5/14

[5] vgl. Internetseite „Kanzlei Kirf-Busenbender, http://anwalt.busenbender.net/

[6] vgl. § 30 HmbDSG

[7] vgl. Internetseite „Datenschutz-Hamburg“, https://www.datenschutz-hamburg.de/

BDSG (i. d. F. v. 20.12.1990) § 6b http://www.gesetze-im-internet.de/bdsg_1990/__6.html (30.10.2015)

BetrVG (i. d. F. v. 15.07.1972) § 87 Abs. 1, Nr. 6 http://www.gesetze-im-internet.de/betrvg/__87.html (30.10.2015)

Datenschutz-Hamburg (2010): „Musterformular zur Dokumentation von Videoüberwachungsmaßnahmen öffentlicher Stellen in Ausübung ihres Hausrechts (§ 30 Abs. 7 HmbDSG)“  https://www.datenschutz-hamburg.de/uploads/media/Musterformular_Videoueberwachung_oeffentlicher_Stellen.pdf (28.11.2015)

Dr.Datenschutz (2015): „Datenschutz in der Vermietung: Auch Kamera-Attrappen unzulässig“ https://www.datenschutzbeauftragter-info.de/datenschutz-der-vermietung-auch-kamera-attrappen-unzulaessig/ (04.11.2015)

Dr.Datenschutz (2015): „Videoüberwachung und Datenschutz“ https://www.datenschutzbeauftragter-info.de/fachbeitraege/videoueberwachung-und-datenschutz/ (04.11.2015)

Dr.Datenschutz (2015): „Videoüberwachung: Wenn der Betriebsrat nichts zu melden hat“ https://www.datenschutzbeauftragter-info.de/videoueberwachung-wenn-der-betriebsrat-nichts-zu-melden-hat/ (04.11.2015)

Düsseldorfer Kreis (2014): OH „Videoüberwachung durch nicht-öffentliche Stellen“ https://www.datenschutz-mv.de/datenschutz/publikationen/informat/video/OH-Video-NOE-Bad.pdf (04.11.2015)

HmbDSG (i. .d. F. v. 05.07.1990) § 30  http://www.landesrecht-hamburg.de/jportal/portal/page/bshaprod.psml?nid=17&showdoccase=1&doc.id=jlr-DSGHA1990V3P30&st=lr (28.11.2015)

Kanzlei Kirf-Busenbender http://anwalt.busenbender.net/schwerpunkte.php (06.11.2015)

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern 3. Kammer, Beschluss vom 12.11.2014, 3 TaBV 5/14 http://www.landesrecht-mv.de/jportal/portal/page/bsmvprod.psml?doc.id=JURE140019903&st=ent&showdoccase=1&paramfromHL=true (04.11.2015)

V. o. T., 2015, in: Rheinische Post, Nr. 96, 25.04.2015 https://www.wiso-net.de:443/document/BGM__20150425014731000043364749 (30.10.2015)