2015: Top 9

Millionengrab Polizei-Software

PIAV ist die Abkürzung für „Polizeilicher Informations- und Analyseverband“. Es handelt sich um ein Projekt mit dem Ziel, alle Fall- und Täterdaten der Polizei in einem einheitlichen System zusammenzufassen. Bis heute ist jedoch kein funktionstüchtiges Programm für alle Bundesländer in Betrieb. Dabei wurden schon seit dem Jahr 2002 Millionen an Steuergeldern in Vorläuferprojekte investiert. Im Jahr 2012 gab die Bundesregierung die weiteren Kosten für PIAV mit 62 Millionen Euro an. Damals ging man allerdings davon aus, das Projekt im Jahr 2014 abzuschließen. Dieser Zeitplan wurde offenbar nicht eingehalten, ein neuer Termin ist nicht bekannt. Insgesamt dringt nur sehr wenig über das Vorhaben an die Öffentlichkeit – dabei hat das Thema große Relevanz und Aktualität.

Sachverhalt & Richtigkeit:

Seit 1972 dient INPOL als Bundesländer übergreifendes Informationssystem der Polizei. Allerdings kann dieses System keine Bilder darstellen und ist mit modernen Computerbetriebssystemen nicht kompatibel. Bereits 2002 sollte INPOL-Neu das veraltete System ablösen und erstmals Fall- und Täterdaten mit Bildern in einem Arbeitsschritt zusammenfassen. Damit sollte Doppelarbeit vermieden und auch die Gefahr des Datenverlusts verringert werden. Bei einem Testlauf stürzte das System 2002 jedoch ab und wird seitdem finanziell nicht länger unterstützt.

An seine Stelle sollte nun „INPOL-Neu-Neu“ treten – auf der Basis des damals bereits erfolgreich in Hamburg eingesetzten „Polas“. Harald Lemke, IT-Direktor der Polizei Hamburg, wurde zum Chef der IT-Abteilung des Bundeskriminalamtes (BKA) ernannt. In seiner neuen Position sollte er „Polas“ sowohl bundesweit als auch in den Länder einführen. Bei der Umsetzung dieses Vorhabens wurde jedoch für die Polizeibeamten vor Ort erneut Doppelarbeit erforderlich. Deshalb wurde das Projekt PIAV („Polizeilicher Informations- und Analyseverband“) aufgesetzt.

Mehrere Firmen bieten Lösungen dafür an, die sich vor allem im Preis unterscheiden. Die Firma Rola Security Solutions verlangt angeblich für jede Fall-Anwendung eine Gebühr. Die Beschaffung über diese Firma würde dadurch sehr teuer. Zudem hat diese Firma die exklusiven Vertriebsrechte für ein erforderliches Grafikprogramm, was den Kreis der Anbieter einschränkt. Rola Security Solutions unterhält außerdem eine sogenannte Sicherheitspartnerschaft mit dem Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK), verbunden mit finanziellen Zuwendungen an den Berufsverband. Das wiederum lässt offenbar einige Landeskriminalämter zögern, das neue System bei dieser Firma zu ordern. Überdies bildeten die Landesämter regionale Projektverbünde, die zum Teil unterschiedliche Ansätze verfolgen.

Um einen Einblick in den aktuellen Sachverhalt zu bekommen, wurden die Innenministerien aller 16 Bundesländer angeschrieben und nach dem derzeitigen Stand gefragt. Lediglich das Saarland, Bayern, Berlin und Hamburg haben die Anfragen komplett beantwortet. Eine Rechercheanfrage beim stellvertretenden Vorsitzenden des BDK, Sebastian Fiedler, blieb letztendlich erfolglos. Rola Security Solutions wollte keine Stellung zur Zusammenarbeit mit dem BDK nehmen.

Relevanz:

Bis heute gibt es bei den Polizeibehörden der Länder und des Bundes kein einheitliches System zur Erhebung von Fall- und Täterdaten. Nicht einmal der aktuelle Stand bei der Einführung eines lange angekündigten neuen Systems ist zu ermitteln. Mit einem veralteten Informationsmodell wird die Polizeiarbeit erschwert, die Aufklärung von Fällen verzögert sich oder wird sogar verhindert. Bund und Länder, sowie die Länder untereinander können nicht lückenlos miteinander kommunizieren. Straftaten, wie die vom NSU („Nationalsozialistischer Untergrund“) konnten unter anderem auch deshalb erst nach langer Verzögerung aufgeklärt werden.

Zudem ist Transparenz bei der Einführung eines solchen Systems angesichts der erheblichen Folgewirkungen für Datenschutz und Bürgerrechte höchst relevant.

Vernachlässigung:

Hauptsächlich beschäftigen sich die Journalisten Christiane Schulzki-Haddouti und Helmut Lorscheid auf Heise-Online mit dem Thema. Am 16.01.2001 veröffentlichte Christiane Schulzki-Haddouti den Artikel „INPOL neu gescheitert?“. Helmut Lorscheid beschäftigt sich am 23.10. 2010 im Artikel „Gemauschel bei Polizeiprojekten“ und am 31.03.2012 in dem Artikel „Ziemlich freihändige Auftragsvergabe“ mit der langwierigen Entwicklung von PIAV und auch mit den Korruptionsvorwürfen gegenüber Rola Security Solutions. Auf dem Blog „POLYGON“ äußert sich die Geschäftsleitung der Rola-Konkurrenz-Firma Polygon zu PIAV und zur vermeintlichen Bevorzugung von Rola Security Solutions.

In den führenden Medien wird das Thema PIAV nur sehr selten am Rande erwähnt. Wie etwa im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung, auch mit aktuellem Bezug zum Attentat auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Dazu veröffentlichte die Westdeutsche Allgemeine Zeitung am 16.01.2015 den Artikel „Mafia-Methoden machen die neuen Terroristen so gefährlich“.

Quellen:

Helmut Lorscheid, Freier Journalist, Kontakt während der gesamten Recherche
Helmut Lorscheid, „Gemauschel bei Polizeiprojekten?“, Telepolis auf Heise-online (http://www.heise.de/tp/artikel/33/33509/1.html) Überblick auf Entwicklung von den Fallbearbeitungssystemen
Polygon-Blog, Konkurrenz zu Rola Security Solutions beschäftigt sich mit dem Thema, (http://www.polygon.com)

Zitate:

 

„Korruption sollte vor allem in den Behörden bekämpft werden, die selbst für die Korruptionsbekämpfung eingesetzt werden müssen. Dazu gehört Polizei und Justiz. Was innerhalb der Polizeibehörden im Bereich der IT-Beschaffung seit Jahren abläuft, was dort möglicherweise üblich ist, lohnt der näheren Untersuchung. Nachdem in einigen Medien über Jahre hin zumindest über das Scheitern von INPOL, INPOL Neu usw. berichtet wurde, scheint für die weitere Berichterstattung über das Nachfolgeprojekt  PIAV kein Interesse mehr zu bestehen. Zumindest berichtet niemand darüber.“
(Helmut Lorscheid, Journalist)